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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 496<br />

ein kosmischer Schauer, dazu übergingen, wie in den Visionen der Surrealisten<br />

ineinander zu verfließen. Aus den Kühen lugten Äste hervor, die Bäume<br />

bekamen Hufe, die Wolken waren gehörnt… Das Gemälde war superb, es hätte<br />

die Bewunderung – oder den Neid – eines jeden Avantgardisten geweckt, nur –<br />

leider – hatte es nichts gemein mit dem, was der „<strong>ro</strong>te Mensch“ bei uns im Atelier<br />

oder im Bü<strong>ro</strong> des Natschalniks gesehen hatte.<br />

Da nahmen wir das Gemälde, um das Verfließen der Farben aufzuhalten,<br />

von der Staffelei und legten es horizontal auf zwei Stühle. Darunter brachten wir<br />

ein Stück Blech an und wiederum darunter stellten wir eine brennende Kerze,<br />

damit die entstehende Wärme die Leinwand etwas t<strong>ro</strong>cknete und die Mobilität<br />

der Farben aufhalte. Und auf diese Weise schabten, löschten und malten wir<br />

neu, warteten dann wieder, dass die Ölfarbe etwas t<strong>ro</strong>cknete, es war eine<br />

Galeerenarbeit, und mit fahlen Gesichtern hingen wir nach einer schlaflosen<br />

Nacht kurz vor dem „Wecken“ das Gemälde über der Tür an die Wand und<br />

schlichen in den Schlafsaal, um angekleidet, wie wir waren, unter die Decke zu<br />

kriechen. Kaum dass wir nach dem Appell – Offizier vom Dienst war der <strong>ro</strong>te<br />

Mensch – das Atelier erreichten, als dieser auch schon aufkreuzte. Keuchend<br />

war er die Treppe hochgestiegen. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich um<br />

und blickte nach der Stelle über der Tür. Verblüffung! Das Bild mit den Kühen<br />

hing an seiner altgewohnten Stelle. Nach einigen Sekunden verwirrten<br />

Betrachtens, verließ er die Bühne genauso wortlos und geschwinde, wie er<br />

gekommen war.

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