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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 290<br />

M=n\st=rka war in Bewegung geraten. Ein paar Tage nach dieser Botschaft<br />

wurden wir so um die Mittagszeit mit einem g<strong>ro</strong>ßen Schub Gefangenen von<br />

drüben überrascht, die auch in unseren Raum gesteckt wurden. Obwohl dieses<br />

Gedränge die Luft noch unerträglicher machte, war die Wiedersehensfreude<br />

explosiv. Hurrarufe brachen bei jedem Neuankömmling aus, als versammelten<br />

wir uns zu einem Jubiläum oder einem Kongress.<br />

„Fröhliches Zuchthaus, Mann“, rief Petric\ Ilie aus, indem er eine Replik<br />

aus der Fledermaus paraphrasierte, als auch er unter rauschendem Beifall<br />

seinen Auftritt machte. Es wurden sofort neue Doppelstockbetten montiert und<br />

mit viel Geschick fast alle Oberlichtfenster ausgehoben, so dass die Luft etwas<br />

erträglicher wurde. Die Neugekommenen waren etwa 30 an der Zahl. Zusammen<br />

waren wir jetzt 80. Unter uns befand sich auch Pfarrer Bejan, dem ich neben mir<br />

Platz machte, sowie auch mein naher Freund Petric\ Ilie, klein von Wuchs und<br />

g<strong>ro</strong>ß im Rat. Neben uns setzte sich auch noch ein römisch-katholischer Priester,<br />

Popa, ein Rumäne aus Siebenbürgen und sehr guter Theologe, was man auch<br />

von Pfarrer Bejan sagen konnte, der äußerst gebildet war und wie jeder<br />

Moldauer die Gabe des Erzählens besaß. Also bedrückte uns die Zeit nicht<br />

mehr, denn wir merkten kaum, wie sie verstrich, während wir in Diskussionen<br />

und Geschichten schwelgten. Aus dem Reigen von Geschichten in jenen<br />

Momenten, die ja in Wirklichkeit ernste und gespannte waren, aber durch die<br />

Magie der Fiktion sich entkrampft hatten, blieben mir jene Petric\s über Nae<br />

Ionescu und darüber, wie dieser seine Logikvorlesung wieder aufnahm, nachdem<br />

er verhaftet gewesen war.<br />

„Es war im Frühjahr 1934“, begann er seine Geschichte. „Es wurde<br />

verkündet, dass der P<strong>ro</strong>fessor aus der Untersuchungshaft entlassen worden sei<br />

und seine Vorlesungen wieder aufnehmen werde. Der Saal Titu Maiorescu an<br />

der Fakultät für Philologie und Philosophie war p<strong>ro</strong>ppevoll. Da waren nicht nur<br />

wir, seine Studenten, sondern auch Studenten von allen Fakultäten. Gekommen<br />

waren sie nicht aufgrund des Interesses an seiner Vorlesung, sondern aus<br />

Neugier oder anderen, vor allem politischen Beweggründen. Als die Tür aufging,<br />

erschien die dünne Gestalt mit eingefallenem Gesicht des P<strong>ro</strong>fessors. Er wurde<br />

mit tosendem Beifall empfangen, und bald auch waren die Anfangsklänge eines<br />

Liedes zu hören. Seinem Antlitz waren urplötzlich Schrecken und Panik<br />

abzulesen. (Er war erst seit kurzem aus dem Gefängnis freigekommen und hatte<br />

sicherlich keine Lust, dorthin zurückzukehren.) Er hob energisch den Arm und<br />

bat nachdrücklich um Ruhe. Es dauerte etwas, bis sich der Lärm legte, und in<br />

das entstandene Schweigen hinein fragte er hart. «Wo glauben Sie denn, dass<br />

Sie sich befinden? Glauben Sie, Sie sind hier im Dacia-Saal bei einer politischen<br />

Versammlung? Beachtet, bitte, dass Sie sich an der Fakultät für Philologie und<br />

Philosophie befinden, bei der Wiedereröffnung einer Logikvorlesung. Letztes<br />

Mal!, begann er in didaktischem Tonfall (letztes Mal war vor etwa einem halben<br />

Jahr gewesen), «letztes Mal habe ich vor Ihnen über die Kantschen Kategorien<br />

der Sukzession und der Kausalität gesp<strong>ro</strong>chen.»<br />

(Dieser Anfang einer Philosophielektion ging über die Häupter derer, die<br />

um des Politischen wegen gekommen waren, wie ein kalter Regen nieder. Sie<br />

resignierten und nahmen in den Bänken Platz.) «Ich sagte damals, dass viele<br />

Menschen diese beiden Kategorien verwechseln. So schließen sie

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