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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 274<br />

verzweifelten Courageakt gegen die bolschewistischen Machthaber des Lagers<br />

in einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod ein Ende zu setzen. Diesmal<br />

fügte er seiner Arbeitsverweigerung einen handgeschriebenen P<strong>ro</strong>test an die<br />

Adresse des Lagerkommandanten bei, den er uns, bevor er ihn beim<br />

Morgenappell dem Dienst habenden Offizier übergab, abends auf der Pritsche<br />

vorlas, uns – also den paar ihm Nahestehenden, zu denen auch ich zählte.<br />

Das P<strong>ro</strong>testschreiben lautete wie folgt: „Ich habe wiederholte Male, sowohl<br />

durch meine Arbeitsverweigerung, als auch durch meine Hungerstreiks, in die ich<br />

trat, sooft Sie mich dieser Verweigerung wegen in den Karzer gesteckt haben,<br />

gegen diesen Ihren Übergriff p<strong>ro</strong>testiert, dessen Sie, die lokale Lagerbehörde<br />

von Oranki, sich schuldig machen, indem Sie uns, die rumänischen Offiziere, zur<br />

Arbeit zwingen, unter Missachtung der Haager Konvention, welche von der<br />

Sowjetunion unterzeichnet worden ist und die eindeutig vorsieht, dass Arbeit für<br />

Offiziere nicht verpflichtend ist. Folglich setze ich Sie hiermit darüber in Kenntnis,<br />

dass ich auf Leben und Tod in den Hungerstreik trete. Innerhalb dieser Aktion<br />

kenne ich keine andere als folgende Alternative: entweder Sie anerkennen mein<br />

Recht, nicht zur Arbeit gezwungen zu werden, oder ich führe meinen Streik bis<br />

zum Tode durch. Dies ist mein letzter und endgültiger Entschluss. Ich weise noch<br />

darauf hin, dass Sie, sollten Sie meine Ermordung verbergen wollen, auch alle<br />

1500 Gefangenen, Rumänen, Deutsche, Ungarn und Österreicher, die jetzt im<br />

Lager sind, werden ermorden müssen, denn so sehr Sie auch die Wahrheit<br />

verbergen wollen, letztendlich kommt sie doch ans Licht.“ Es folgte die<br />

Unterschrift: Reserveunterleutnant Ciutea Ion, Königliche Rumänische Armee.<br />

Wir waren sprachlos. Nicht nur wegen der souveränen Verachtung des<br />

Tons, wegen der Anklage gegen die Verwaltung auf Machtmissbrauch und<br />

eventuellen Mord, sondern wegen des schrecklichen Spieleinsatzes: Totaler Sieg<br />

oder Tod. Umso schrecklicher aber war, dass keine der beiden Seiten<br />

nachgeben konnte. Weder konnte die sowjetische Leitung des Lagers Ciutea von<br />

der allen auferlegten Regel ausnehmen, noch war dieser – so, wie wir ihn<br />

kannten – jemand, der kapituliert, sei es auch mit dem Preis des Todes.<br />

Deswegen war es nur realistisch, bei diesem Spiel mit einem tragischen Ende zu<br />

rechnen.<br />

Einige von uns versuchten, ihn davon zu überzeugen, aufzugeben, aber er<br />

erwiderte schneidig: „Unser Land hat uns die Ehre erwiesen, uns die<br />

Offizierstabzeichen auf die Schulter zu heften. Respektieren wir dies! Lassen wir<br />

nicht zu, dass der Feind uns sein erniedrigendes Joch aufdrückt!“ Wir<br />

resignierten, kannten wir ihn doch zu gut, um damit zu rechnen, er könne einen<br />

Rückzieher machen. Und vielleicht war es ja im Grunde genommen die seinem<br />

Wesen, aber auch dem Moment entsprechende Lösung, um aus diesem<br />

höllischen Alternanzspiel auszubrechen: Arbeitszuteilung - Verweigerung, Karzer<br />

- Hungerstreik, das die Sowjets hinnahmen, für ihn aber letztlich den Tod<br />

bedeutete.<br />

Aus diesem Teufelskreis mit letalem Ausgang musste ausgeb<strong>ro</strong>chen<br />

werden. Wie? Genau so, wie er es jetzt versuchte. Aus einer verzweifelten<br />

Situation führt nur eine noch verzweifeltere Tat heraus. Deswegen haben wir ihn<br />

bis zum Schluss alle verstanden, ihn umarmt und ihm Erfolg gewünscht.

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