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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 19<br />

Entfremdung jenes Teiles der Welt verstanden werden, der von diesem<br />

schrecklichen Schicksalsschlag des Jahrtausendendes heimgesucht wurde. «Wo<br />

aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger<br />

geworden», wie der Hl. Apostel Paulus sagt, und genauso ereignete es sich auch<br />

hier, in den Lagern und Gefängnissen, gerade unter dem Druck höchsten<br />

Grades, dass sich zugleich auch das Strahlen der menschlichen Würde in all<br />

ihrer verklärenden Kraft offenbarte und für einige – wenige, zugegeben – gar die<br />

Pracht der Heiligkeit brachte. (Fast möchte ich befürchten, der Leser könnte<br />

glauben, dass einige meiner Seiten ein Plagiat aus den «Marty<strong>ro</strong>logien» sind.)<br />

Ebenda aber enthüllten sich auch die Grenzen Satans, denn er ist nicht wirklich<br />

allmächtig, so dass alle jene, die bis zum Schluss geglaubt und Geduld hatten<br />

(und es waren ihrer nicht wenige), erhobenen Hauptes heimkehren konnten,<br />

ohne das schmutzige Zeichen der Bestie auf der Stirn. Dies ist der g<strong>ro</strong>ße Stolz,<br />

die g<strong>ro</strong>ße Genugtuung und ausgleichende Vergütung für die zerquetschten<br />

Leben jener Vielen und Bescheidenen, welche die Kammern der Hölle<br />

durchquerten, ohne besudelt zu werden. Menschen wie diesen wird nichts und<br />

niemand diesen Kranz rauben können.<br />

Für sie, von denen ich so viele gekannt habe und die größtenteils seit<br />

langem schon im «Jenseits» weilen, habe ich dieses Buch verfasst, bestrebt,<br />

darin all das zusammenzutragen und einzubinden, was wir zusammen erlebt und<br />

erlitten haben, um dadurch eben so viele Zeugnisse unseres verzweifelten, aber<br />

durchaus auch mit tragischer Größe versehenen Kampfes abzulegen, um «bis<br />

zum Schluss MENSCHEN zu bleiben».<br />

Indem ich mich daran gemacht habe, dieses Beinhaus auszugraben, habe<br />

ich mich stets gefragt, ob ich denn die Zeit haben werde, dieses Unterfangen zu<br />

Ende zu bringen; denn ich habe viele Jahre auf dem Buckel und wenige vor mir.<br />

Und diese angstvolle Frage, «ob ich denn mit dem Schreiben zu Ende kommen<br />

werde», ist jetzt, glaube ich, jene, die sich als das Bild des Riesen aus dem<br />

Traum mit dem Hundeknirps an der Leine getarnt hat, der auf dem irren Marsch<br />

durch die zugeschneite Steppe mir permanent den Schrecken einhauchte, nicht<br />

aus der Kolonne zu fallen und dadurch vor den Lauf seines Gewehres zu<br />

geraten. Er war es, der meinen Schritt bis zur Erschöpfung beschleunigte.<br />

«Beeil’ dich! Beeil’ dich!» scheint er mir auch jetzt zu sagen, angesichts<br />

dessen, wie mühselig meine Feder auf der Weiße des Papiers vorwärts kommt.<br />

«Beeile dich!...denn wir sind weiterhin hinter dir.»<br />

*<br />

10. Januar 1999<br />

Es wird Morgen. Es ist mir gelungen, das Wort «Ende» auf die letzte<br />

Seite der «G efangenschaft» zu schreiben. Nach einer Nacht des Schreibens<br />

gehe ich schlafen, also zu einer neuen Begegnung mit der Welt der Phantome,<br />

die ich in mir trage. Resigniert ziehe ich die gestreifte Häftlingsuniform an und<br />

steige auf der Wendeltreppe des Traums bis zu jenem unterirdischen Gefilde

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