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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 117<br />

Quarantäne verschwunden war. Mein Gott, wie aufgedunsen der Mann in nur ein<br />

paar Wochen nach intensiver Behandlung mit Kascha und Ideologie werden<br />

konnte! Er wiederholte ohne Betonung die Schlussfolgerungen des Kommissars.<br />

Sein Diskurs bestand darin, vorfabrizierte Sowjetformeln (die hitleristische<br />

Koalition, der faschistische Okkupant, der Kampf der Völker für den Frieden)<br />

zusammenzustoppeln. Ihm fehlte jeglicher Denkfaden. Eigentlich brauchte es ja<br />

auch gar keinen. Die Macht war es zufrieden, wenn man mimte, ihr nach dem<br />

Munde zu reden, wobei die wahre Sprechkunst – für sie, für die Macht – darin<br />

bestand, zu reden, ohne etwas zu sagen. Nachdem er fertig war, setzte er sich<br />

unter dem vorp<strong>ro</strong>grammierten Beifall der Ritter der Roten Tafelrunde. Im Saal<br />

klatschte kein einziger. Da erhob sich am anderen Ende des Tisches ein gut<br />

gebauter Kerl mit <strong>ro</strong>ten Wangen. Vom Aussehen her schien er nicht zu den<br />

aufgedunsenen Antifaschisten des Lagers zu gehören, sondern eher erst<br />

unlängst von anderswo einget<strong>ro</strong>ffen zu sein. Er stellte sich als Leutnant Bodiu<br />

vor, „ein Sohn Siebenbürgens“, der am Donbogen noch vor der g<strong>ro</strong>ßen Schlacht<br />

in Gefangenschaft geraten war. Dort, wie er sich selbst lobte, habe er durchs<br />

Megafon zu den rumänischen Soldaten gesp<strong>ro</strong>chen und sie aufgefordert, zu den<br />

Russen überzulaufen. Im Wesentlichen war sein Diskurs eine Einladung zur<br />

Einschreibung in die Antifaschistische Bewegung, um dann die sowjetische<br />

Regierung um die Gunst bitten zu können, Einheiten zu bilden, die in einer<br />

bewegenden Waffenbruderschaft gegen die faschistischen Besatzer an der Seite<br />

der Roten Armee kämpfen sollten.<br />

„Übrigens“, setzte er seine Rede fort, „auf dieser g<strong>ro</strong>ßzügigen<br />

sowjetischen Erde wurden schon mal mit rumänischen Kriegsgefangenen aus<br />

Siebenbürgen Freiwilligeneinheiten gebildet, um die rumänische Trikolore in<br />

Blaj 60 zu hissen.“ (Die Analogie war unhaltbar, denn die rumänischen<br />

Gefangenen aus der österreichisch-ungarischen Armee sollten an der Seite der<br />

Rumänischen Armee kämpfen, und nicht gegen sie und gegen die rumänischen<br />

Brüder, so wie es nun die auf Befehl Moskaus hin ad hoc gegründeten<br />

„Freiwilligen“-Einheiten aus den sowjetischen Lagern hätten tun müssen.)<br />

„Die Größe unserer Väter verpflichtet“, fuhr mit demagogischem<br />

Patriotismus der Sohn Siebenbürgens fort, „also hissen wir im vorübergehend<br />

von den Horthysten besetzten Siebenbürgen unsere befreiende Trikolore!“ Mit<br />

diesem vibrierenden und mobilisierenden Schlussappell ließ sich unser Tribun<br />

triumphierend und unter dem anhaltenden Beifall des Präsidiums, allen voran<br />

Codler, in den Sessel sinken.<br />

Im Saal rührte sich keiner. Der Kommissar richtete an uns alle die Frage,<br />

ob denn jemand eine Ergänzung oder einen neuen Vorschlag zu machen haben.<br />

Keine Reaktion. Der Saal war so gut wie tot. Vergeblich überflogen seine<br />

Falkenblicke die Reihen im Saal auf der Suche der beiden Finger, die<br />

p<strong>ro</strong>grammiert worden waren, um sich zu Wort zu melden. Anscheinend hatte die<br />

Regie eine technische Panne erlitten. Obwohl rechtzeitig und minutiös<br />

vorbereitet, war die Sitzung erst im letzten Moment angekündigt worden, gleich<br />

nach dem Mittagessen (wahrscheinlich, um von den nicht-„antifaschistischen“<br />

60 Kleinstadt in Zentralsiebenbürgen, in der Vertreter aller Siebenbürger Rumänen 1918 für die<br />

Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien stimmten.

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