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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 521<br />

145. Bei kleinem Feuer im eigenen Saft schmorend<br />

Die ehemaligen deutschen Baracken schienen etwas komfortabler als die<br />

sowjetischen. Mit den ehemaligen Deportierten, vor allem Deutsche, mit den aus<br />

den sibirischen Bergwerken entkommenen Soldaten und den ehemaligen aus<br />

den Arbeitslagern befreiten Verurteilten waren wir ungefähr 1500, vielleicht gar<br />

2000 Seelen hier. Außer Reinemachen, Essen austragen und Appell gab es<br />

keinerlei Arbeitsp<strong>ro</strong>gramm für all diese Menschen, die auf ihren Pritschenplätzen<br />

ausgestreckt wie in einem Zustand steter Lethargie darauf warteten, aus dem<br />

kleineren Lager von Bragadiru in das größere überwiesen zu werde, welches das<br />

Land an und für sich war. Die Untätigkeit ist nicht jedermanns Sache. Für uns<br />

Offiziere, die wir eine Allergie gegen die sowjetischen Zwangsarbeiten entwickelt<br />

hatten, war sie willkommen. Unter ihrem Regime konnten wir fortfahren,<br />

Fremdsprachen oder andere Disziplinen zu studieren, was uns ja drüben aus<br />

dem Nichts des Hässlichen gerettet hatte. Aber für die einfachen Menschen,<br />

denen ein geistiger Horizont fehlt, stellt die Untätigkeit etwas Deprimierendes, ja<br />

Qualvolles dar. Die Zeit wurde ihnen unerträglich, und das Warten auf die<br />

Freilassung ein einziges Leiden. Da auch das Essen ungenügend und miserabel<br />

war, weitaus schlechter als jenes in den letzten Jahren bei den Bolschewiki,<br />

hatten viele dieser Soldaten, die anfangs gesund aussahen, nach einigen<br />

Monaten stark abgebaut, verzehrt von Hunger, Heimweh und Sehnsucht nach<br />

ihren Lieben…<br />

Auf meinen Spaziergängen durch den Hof konnte ich von der Nord- und<br />

von der Ostseite des Pferchs die größeren, mehrstöckigen Gebäude Bukarests,<br />

meiner mir so lieben Geburtsstadt, die all meine Jugend in sich trug und sich vor<br />

meinen Augen als etwas Unerreichbares, etwas Unglaubhaftes erhob, gleich<br />

einer Fata Morgana.<br />

Von der Kirche des Dorfes, die ich nicht sehen konnte, hörte man die<br />

Glocken läuten.<br />

Geläutet wurde auch zu Weihnachten, auch zu Neujahr, auch am<br />

Dreikönigsfest, und die Glocken erklangen schließlich auch am heiligen<br />

Osterfest. Aber als wir sie zum ersten Mal hörten (es war am ersten Sonntag<br />

nach unserer Ankunft hier), waren wir überwältigt, und Tränen schossen uns in<br />

die Augen. Seit neun Jahren hatten wir ihren klaren, geheiligten und reinigenden<br />

Klang, der die bösen Geister vertreibt, nicht mehr gehört. Ihre Vibrationen<br />

schlugen gegen die Wände unserer Herzen und verbannten daraus alle Ängste,<br />

alle Zweifel, alle Unruhen.<br />

Dann erst wurden wir uns dessen bewusst, wie viele unfruchtbare und<br />

wüste Jahre der Bitterkeit unsere Leben verstümmelt hatten, denn bis dorthin, in<br />

die Lagerwüsten, gelangte kein Glockenklang.<br />

Für unsere Bewachung sorgten auf den Beobachtungstürmen die<br />

Wachtposten der Securitate, innerhalb des Lagers aber tätigten von Zeit zu Zeit<br />

auch Milizmänner Kont<strong>ro</strong>llen. Es war kurze Zeit nach der Auflösung der Polizei<br />

(bürgerliches Instrument zur Unterdrückung der Volksmassen) und nach der

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