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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 132<br />

31. FLECKTYPHUS<br />

… in der Nacht darauf überflog Abbadon, der Engel des Abgrunds, das<br />

Lager und vergoss aus seinem Zornkelch darüber, und eine böse Seuche kam<br />

über die Menschen: der Typhus. Und nicht nur über unser Lager, sondern auch,<br />

wie wir später erfahren sollten, über alle Lager, in die wir Gefangenen, die<br />

Überlebenden des G<strong>ro</strong>ßen Schiffbruchs (Don – Stalingrad), gebracht worden<br />

waren. Es scheint, dass mit dem letzten Transport aus Stalingrad unter den<br />

Gefangenen, die sich in einem erbärmlichen Zustand befanden, auch ein paar<br />

Fleckfieberkranke dabei waren, welche, noch bevor sie als solche erkannt<br />

wurden, die Seuche im gesamten Lager verbreitet hatten. Und erneut wurden wir<br />

in Quarantäne gesteckt, diesmal aber war es eine sehr strenge, mit genauester<br />

Sanitärdisziplin, die aus Angst vor dem Tod aufrechterhalten wurde. Wir waren<br />

völlig isoliert. (Mit dieser Gelegenheit waren wir die Invasion der „Denunzianten“<br />

und der P<strong>ro</strong>pagandisten los, welche aus Furcht vor der Seuche sich nicht mehr<br />

in unseren Raum wagten.) Aus den Fenstern, die es nach zwei Seiten hin gab,<br />

verfolgten wir die P<strong>ro</strong>zession der Sanitäter mit ihren Tragbahren, auf denen sie<br />

die nachtsüber vom Schwert des Engels Get<strong>ro</strong>ffenen ins Lazarett brachten,<br />

abends dann den zugedeckten Pferdeschlitten, auf dem ein stockbesoffener<br />

Russe (um sich nicht anzustecken) die Toten aus dem Leichenschauhaus des<br />

Lagers zum Friedhof, zum Kotlowan, wie er auf Russisch genannt wurde,<br />

schaffte. Dort, all ihrer Kleidung entblößt, kahl geschoren und aufgestapelt, eine<br />

Reihe längs, eine Reihe kreuz, warteten die Toten starr gef<strong>ro</strong>ren und brav tage-<br />

und wochenlang, bis man für sie ein Massengrab aushob, in welches sie dann<br />

wahllos hineingeworfen wurden und auf das kein Kreuz kam, als Zeichen ihres<br />

Lebens auf dieser Erde.<br />

Manchmal aber rührte sich unter diesen Hekatomben von f<strong>ro</strong>ststarren<br />

Kadavern seltsamerweise das Leben wieder. Hier ein Zeugnis dafür: „Ein<br />

Wintermorgen mit Sonne und F<strong>ro</strong>st mitten in einem Kiefern- und Birkenwald, und<br />

ich, der ich nach einer langen Nacht die Augen öffne und das Wundervolle dieser<br />

Stunde erblicke, um dann plötzlich festzustellen, dass ich mich obenauf auf<br />

einem riesigen Haufen von Leichen befinde, allesamt nackt, gef<strong>ro</strong>ren und kahl<br />

geschoren – genau wie auch ich. Da verschmolz mein gesamtes Wesen,<br />

angesichts dieses schrecklichen, wahnsinnigen, apokalyptischen Bildes, in<br />

einem zerreißenden… immensen Schrei über die ganze Taiga hinweg. Es hörten<br />

mich jene, die mich gebracht hatten, der Tschassowoj mit dem Schlitten und die<br />

deutschen Sanitäter, die noch nicht weit weg waren. Sie zogen mich von dem<br />

Leichenschober herunter, steckten mich in den Schlitten zwischen Decke und<br />

St<strong>ro</strong>h und brachten mich ins Lager zurück… Und da bin ich, lebend und<br />

unversehrt“, schloss im Sommer desselben Jahres der italienische Leutnant<br />

Franco Tore seine Geschichte inmitten einer Gruppe von Italienern, mit denen<br />

ich inzwischen Freundschaft geschlossen hatte und die mir, so es noch nötig<br />

war, die Authentizität dieses fantastischen Abenteuers bestätigten. Ähnliche<br />

Fälle von „Scheintod“ und „Wiedererwachen“ wurden auch aus anderen vom

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