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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 371<br />

99. Abreise aus dem Teufelsloch<br />

Und eines Morgens wurde die Hälfte von uns mit Gepäck, Matratzen und<br />

Decken zum Tor gerufen. Was nichts anderes als Abreise bedeutete. Aber<br />

wohin? Die Antwort gab Ziganow höchstpersönlich den 40 am Tor versammelten<br />

Offizieren. Vorweg aber: Wer waren denn diese 40? Wie bei jedem vom NKWD<br />

organisierten Transport konnte man aus dessen Zusammensetzung nicht auf das<br />

Ziel oder das Schicksal der Gruppe schließen. Die g<strong>ro</strong>ße Mehrheit bildeten die<br />

Moderaten aus der Oranki-Gruppe. Aber dabei waren auch noch genügend von<br />

unseren Radikalen, einige von ihnen mit vielen Kerben auf dem Kerbholz der<br />

Lagerverwaltung, mit der sie oft im Clinch gewesen waren. Die antifaschistische<br />

Gruppe war desgleichen gut vertreten, aber ein Teil davon hatte man bei uns,<br />

den Zurückbleibenden, gelassen. Genau so wohlüberlegt hatte man auch die<br />

Gruppe der Sykophanten in Abreisende und Bleibende aufgeteilt, all unserer<br />

ergebenen Denunzianten, deren Schicksal – unlösbar mit dem unseren<br />

verbunden – sie ohne ein eigenes Leben gelassen und sie in unsere Schatten<br />

verwandelt hatte.<br />

Da ziehe einer einen Schluss aus einem solchen Amalgam!<br />

Diesmal jedoch brach Ziganow das Transportgeheimnis und sprach:<br />

„Meine Herren Offiziere“, wandte er sich an die nach einer nicht mehr so<br />

strengen Durchsuchung wie bei der Ankunft vor dem Lager versammelte<br />

Gruppe, „von diesem Augenblick an sind Sie freie Menschen. Sie kehren heim.<br />

Wie Sie sehen, Sie haben keine Bewachungseskorte mehr, sondern nur noch<br />

einen einzigen und dazu unbewaffneten Mann, der sie führen wird.“<br />

„Aber mit den anderen Kameraden, die nicht hier sind, was geschieht mit<br />

ihnen?“, habe einer der unsrigen gefragt. (Die Szene wurde uns von einem<br />

Deutschen aus der Küche wiedergegeben, der den Abreisenden kalte Nahrung<br />

für etwa zehn Tage gebracht hatte.)<br />

„Ihre Situation ist etwas komplizierter. Von Fall zu Fall“, antwortete<br />

Ziganow, wobei er tiefes und ehrliches Mitleid mit uns, den Zurückbleibenden,<br />

mimte. „Auf jeden Fall, so bald werden diese ihre Heimat nicht wieder sehen. Mit<br />

Ihnen aber stehen die Dinge anders. Sie haben reine Akten und werden<br />

heimkehren zu Ihren Familien, um die Ihnen Lieben zu umarmen und vor allem<br />

um am sozialistischen Aufbau Ihres Vaterlandes aktiv teilzunehmen, und unser<br />

sowjetisches Volk wird Ihnen dabei einen brüderlichen Arm ausstrecken… Wir<br />

wünschen Ihnen aus ganzem Herzen sowohl persönliche Erfolge, als auch vor<br />

allem solche auf nationaler und internationaler Ebene, wo wir einander gleich<br />

Kameraden eines gemeinsamen Kampfes begegnen und uns gerne an die<br />

gemeinsam verbrachte Zeit erinnern werden (vor allem an jene im Isolator!!!).<br />

Falls jemand etwas zu sagen hat, bitte“, schloss er sein verbales Delirium und<br />

suchte aus den Augen die antifaschistische Gruppe, von der er eine den<br />

Umständen entsprechende im Vorhinein vorbereitete Rede erwartete.<br />

Aber komisch genug, anstatt des antifaschistischen Regenbogens, der<br />

wohl p<strong>ro</strong>grammiert gewesen war, die Replik zu geben, erhob sich aus unseren

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