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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 207<br />

Der Sänger, der die Geschichte der beiden Grenadiere äußerst bewegend<br />

von sich gab, ahnte selber auch die Gefahr voraus, denn in dem Maße, in dem er<br />

sich dem Ende näherte, weiteten sich seine Augen vor Schrecken, als er sah,<br />

wie die Spannung im Saal auf das Explosionsmoment hin anschwoll.<br />

„Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab, / Viel Schwerter klirren und<br />

blitzen; / Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab- / Den Kaiser, den<br />

Kaiser zu schützen!“<br />

Bei dieser Schlusszeile ereignete sich die Explosion. Zugleich mit dem<br />

tosenden Applaus erhob sich der ganze Saal, stieg auf die Bänke und begann<br />

wie im Wahnsinn zu schreien: „Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!“ Junge und<br />

Alte, Kräftige und Dyst<strong>ro</strong>phiker schrieen mit verklärten Gesichtern und Tränen in<br />

den Augen mit letzten Kräften: „Den Kaiser, den Kaiser…!“<br />

Allein, wer war denn der Kaiser, den das Volk im Saal so voller Inbrunst<br />

beschwor? War es der König? Nein. Antonescu? Nein. Hitler? Keineswegs. Wer<br />

dann? Eine gute Frage… Denn unser Kaiser war nicht von dieser Welt. Er<br />

gehörte der Welt der messianischen Mythen an und kam in genau jenem<br />

Augenblick aus unserem Freiheitsbestreben, unserem Wunsch nach Leben und<br />

Würde, die in uns der heiße Wind der Marseillaise aufgewühlt hatte, zur Welt.<br />

Der „Kaiser“… war unser Schrei der Revolte gegen die elenden<br />

Lebensbedingungen, unter denen wir leben mussten. Es war unsere Antwort auf<br />

die Erniedrigung und moralische Degradierung, denen uns ein brutaler,<br />

rächerischer und ehrloser Sieger mit primitiven Instinkten unterzog. Dies war es,<br />

was die frenetisch herausgeschrieene Beschwörung dieses Wortes ausdrücken<br />

wollte.<br />

Und weil das Getöse, welches die Ausmaße eines Massenwahnsinns<br />

angenommen hatte, kein Ende nahm und im ganzen Lager zu hören war, eilten<br />

der Offizier vom Dienst und seine Tschassowojs mit ihren MPs um den Hals<br />

alarmiert die Treppen zum Klub herauf, um dem Aufruhr entgegenzuwirken.<br />

Da stieg aber Oberst Stelian Dumitriu, der vorne, in der ersten Reihe<br />

stand, auf die Sitzbank und machte uns mit der Hand Zeichen, aufzuhören. Der<br />

Sturm legte sich nach und nach. Die Menge verstummte schließlich, der Zauber<br />

des Liedes war verflogen und damit auch unser heiliger Wahnsinn.<br />

Vom anderen Ende der ersten Sitzbank erhob sich daraufhin Kommissar<br />

Codler mit zorn<strong>ro</strong>tem Gesicht, allerdings sichtlich bemüht, sich zu beherrschen.<br />

Mit ruhiger Stimme sagte er gespreizt: „Es war eine sehr schöne künstlerische<br />

Soiree. Schade, dass sie von ein paar ungehobelten Offizieren gestört worden<br />

ist.“ (Er sprach nicht von allen. Dies erlaubte ihm die Dialektik nicht)… „Von ein<br />

paar Offizieren, denen jegliche Würde fehlt.“<br />

Auf diese Frechheit hin ergriff der alte Oberst Stelic\ Dumitriu das Wort<br />

und sagte mit seiner ruhigen und redseligen, aber festen Stimme ganz deutlich:<br />

„Herr Kommissar, wir verbitten uns, von Ihnen in Sachen Würde belehrt zu<br />

werden! Es gäbe viel über die Art und Weise zu diskutieren, wie hier unsere<br />

Menschenwürde respektiert worden ist.“ Dann wandte er sich mit soldatischem<br />

Tonfall an den Saal: „Bitte, verlasst den Saal in perfekter Ruhe und Ordnung!“<br />

Die Leute erhoben sich von den Bänken und gingen still Richtung Ausgang. Der<br />

Kommissar blieb stumm und erstarrt zurück. Die Worte des Obersts waren gleich

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