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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 101<br />

Parade des Elends unserer Kolonne verfolgt hatte, hatte sich zurückgezogen. Als<br />

endlich auch meine Gruppe an die Reihe kam, war es längst völlig dunkel<br />

geworden. Das Eintreten aus der F<strong>ro</strong>stnacht in den heißen und so dichten Dunst,<br />

dass man sich kaum noch sehen konnte, des Badesaales, war für uns alle ein<br />

Schock. Es war, als erstickten wir. Mir wurde schwindlig und meine Beine waren<br />

weich geworden. Die Badediener, mit nacktem Oberkörper, reichten jedem von<br />

uns je einen Metallring, den wir ihnen mit allem, was wir an Kleidung,<br />

Unterwäsche und Schuhzeug besaßen, vor dem T<strong>ro</strong>ckenraum abzugeben<br />

hatten. Die ganze Last dieser Jacken, Pelze, Schuhe in einer einzigen von all der<br />

Not geschwächten Hand stellte eine unerträgliche Bürde dar. Die Minuten, die<br />

ich nackt, mit dem beladenen Ring in der Hand, dastand und darauf wartete, die<br />

Tür zum T<strong>ro</strong>ckenraum möge sich öffnen, waren für mich eine einzige Höllenqual.<br />

Als die Tür endlich aufging und der brennende Dunst uns entgegenströmte,<br />

wurde mir dunkel vor den Augen und ich wäre umgekippt, hätte die rettende<br />

Hand eines Badedieners mich nicht im gleichen Moment vom verdammten<br />

Kleiderring befreit. (Zwei oder drei Tage später erging es einer Gruppe<br />

ungarischer Gefangener, die in unser Lager gebracht worden waren, noch<br />

schlimmer. Vielleicht waren sie noch zerschlagener als wir und am Ende einer<br />

noch schrecklicheren Reise, denn als sie, nachdem man sie vor dem Lagertor<br />

stundenlang im F<strong>ro</strong>st stehen gelassen hatte, in den heißen Dunst des Bades<br />

traten, brachen sie zusammen. Ihr Herz gab nach. Zwei von ihnen starben sofort,<br />

und die anderen wurden mit der Bahre ins Spital gebracht.) Nach dem Moment<br />

des T<strong>ro</strong>ckenraumes folgte das Baden. Ein Badediener gab uns je ein Stückchen<br />

klebriges Etwas, dass nach totem Hund <strong>ro</strong>ch. Es war die Seife. Dann erhielt<br />

jeder eine Waschschüssel (Tas), womit wir an einem anderen Badediener vorbei<br />

mussten, der uns ein Eimerchen kochenden Wassers gab, das er aus einem<br />

riesigen Kessel schöpfte, unter dem ununterb<strong>ro</strong>chen das Feuer brannte. So wie<br />

wir durch den undurchsichtigen Dunst des Bades mit den Waschschüsseln in der<br />

Hand wandelten, schienen unsere Skelette Figuren und Bewegungen eines<br />

g<strong>ro</strong>tesken Balletttanzes auszuführen, ähnlich wie in den mittelalterlichen<br />

Gravuren. Aber das Wasser, das warme Wasser! Oh Gott, wie wunderbar war<br />

doch in jenem Augenblick das warme Wasser! Unsere von F<strong>ro</strong>st und Schmutz<br />

gegerbte Haut erfreute sich seiner mit jeder Pore! Es war, als befreie es uns mit<br />

einem einzigen Handauflegen von Müdigkeit und allen Bedürfnissen. Wir fühlten<br />

uns belebt und wurden euphorisch, als wären wir Patrizier in einem römischen<br />

Bad. Nach einiger Zeit öffnete sich wieder die Tür zum T<strong>ro</strong>ckenraum und in<br />

seiner heißen Luft wurden wir wieder t<strong>ro</strong>cken. Man gab uns unsere Sachen<br />

zurück. Die Pelze waren etwas gesengt worden und verströmten einen<br />

irremachenden Duft nach warmem Weißb<strong>ro</strong>t. Und die Läuse? Von jenem<br />

Moment an waren wir sie losgeworden. Und wenn sie isoliert ab und zu noch<br />

auftauchen sollten, würden die nächsten T<strong>ro</strong>ckenräume sie liquidieren. Bevor wir<br />

uns ankleideten, gaben wir die (schmutzige) Unterwäsche ab und erhielten reine.<br />

Diese Regel funktionierte die ganze Gefangenschaft über. Ich einer betrachtete<br />

sie als eine Entpersönlichung, die mich in einem so intimen Bereich der<br />

persönlichen Sachen beraubte, indem sie mich zwang, über meine nackte Haut<br />

ein Unterhemd und eine lange Unterhose zu ziehen, die vor mir wer weiß wer<br />

getragen hatte. Letztendlich habe ich meine Intimität gegen die Aggression eines

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