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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 398<br />

105. Der Hungerstreik von Morschansk (der dritte, an dem ich<br />

teilnahm)<br />

Es waren vielleicht zwei Wochen seit dem Ende der Quarantäne<br />

vergangen, während derer ich in peripatetischer Gesellschaft Yimori Toru – mit<br />

dem das P<strong>ro</strong>gramm „Ideenhandel“ begonnen hatte – alle pittoresken Ecken:<br />

schattige Sträucher, Bächlein, Stege dieses immensen Taigalagers erkundet<br />

hatte und mich mit meinem ganzen Wesen über die relative Freiheit gefreut, wie<br />

ein Hund, der mit seiner Kette an einem Draht entlang den ganzen Hof ablaufen<br />

kann. Während dieser Natureuphorie, die ich genoss und die ich ungern<br />

hergegeben hätte, brütete man in unserer Baracke ernste Entscheidungen aus.<br />

Ein Teil unserer Jungs, die „Streikenden“, waren der Meinung, dass eine passive<br />

Wartehaltung in Sachen Repatriierung uns diese nie als Geschenk der Sowjets<br />

in den Schoß fallen lassen würde. Wollten wir sie, dann mussten wir sie mit allen<br />

Dialogmitteln einfordern, und sollte dies erfolglos bleiben, mussten wir sie ihnen<br />

durch eine extreme Hungerstreikaktion abringen, so wie wir es auch mit der<br />

Befreiung von der Arbeitspflicht im Teufelsloch getan hatten. Wie zu erwarten<br />

war, erhielt unsere Delegation, an der Spitze mit Cotea, auf die Forderung nach<br />

einem fixen Repatriierungsdatum bloß ausweichende Antworten , bar jeder<br />

Verantwortung, etwa „wenn wir die Order bekommen, repatriieren wir euch<br />

sofort“, was gleich Null war.<br />

Mitten in diesen fiebrigen Überlegungen zur Ungewissheit unserer<br />

Situation und der zu verfolgenden Strategie ließ Ispas, wie es seine Gewohnheit<br />

war, die Bombe explodieren und erklärte, ohne sich mit jemandem beraten zu<br />

haben, auf eigene Faust den Hungerstreik. So nahm er uns in die Pflicht, ihn<br />

nicht alleine zu lassen und uns ihm anzuschließen, damit er keine leichte Beute<br />

für die Repression des NKWD sei. Alle Versuche Nae Cojocarus, ihn dazu zu<br />

bringen, seinen Entschluss aufzuschieben, bis eine gemeinsame, einer solch<br />

ernsten Lage gerechte Aktion entsprechend vorbereitet werde, prallte gegen<br />

seine Intransigenz wie gegen eine Wand. Und so kam es zu einer Kette von<br />

freundschaftlichen und kameradschaftlichen Verpflichtungen, Nae trat in den<br />

Streik, um Ispas nicht alleine zu lassen, ich, Victor Clonaru und Gabi<br />

Constantinescu, um Nae nicht alleine zu lassen, Mitic\ Vonica und andere, um<br />

mich nicht alleine zu lassen… und so weiter, bis die Kette alle ehemaligen<br />

Streikenden erfasste, ja sogar manche andere noch dazu. Ich allein weiß, wie<br />

viel ich mich darum bemüht habe, Popescu-Tudor vom Streik abzuhalten, war er<br />

doch lungenkrank, und eine derartige Aktion hätte sein Leben gefährden können.<br />

Aber woher! Als einziger im Krankenhaus erklärte er den Streik.<br />

Auf unsere Hungerstreikerklärung, die dem bereits üblichen P<strong>ro</strong>tokoll<br />

folgte (individuelle, schriftliche Erklärungen) reagierte die Verwaltung mit<br />

sofortigen harten und präzisen Maßnahmen, die vorher p<strong>ro</strong>fimäßig und im Detail<br />

einstudiert worden waren, als hätte man bloß darauf gewartet, dass wir die<br />

Aktion starteten, um den vorher festgelegten Repressionsplan anzuwenden.

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