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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 402<br />

wie folgt ergänzte: Iolly, Expozito, Zache<strong>ro</strong>ni, Namen meiner italienischen<br />

Freunde aus dem Frühjahr 1943 im Skit.<br />

Neben diesen verstümmelten Namen stand auch ein teilweise gelöschtes<br />

Datum, das ich als 1945 entzifferte. Die Entdeckung verblüffte mich, da mir Iolly<br />

durch B=rzu bereits in Ustschoara einen Gruß hinterlassen hatte. Nun war er<br />

auch hier, in Morschansk, mein Vorgänger gewesen. Das Schicksal oder, anders<br />

gesagt, die Haltungsverwandschaft gegenüber den grundlegenden Fragen des<br />

Lebens hatte uns ein und denselben Weg beschert. Sollten sie nach Italien<br />

heimgekehrt sein? Sollten sie es geschafft haben, der Welt zu sagen, was sich in<br />

dieser abwegigen Zone des Planeten zutrug und was für Pläne für sie hier, in<br />

den satanischen Geheimverliesen der kommunistischen Verschwörung,<br />

ausgeheckt wurden?<br />

So verging auch der zweite Streiktag, und so vergingen übrigens in<br />

unserer Zelle auch die folgenden Tage ohne Vorfälle und ohne<br />

Gesundheitsp<strong>ro</strong>bleme. Gewissermaßen ertrug ich diesen dritten Hungerstreik<br />

viel besser als vorigen. Hungergefühle? Keine Spur. Höchstens<br />

Schwindelgefühle. Und das Gleiche galt auch für meine Zellengenossen.<br />

Unser guter Zustand und unsere Ruhe muss unseren Wärter genervt<br />

haben, denn nach einigen Tagen begnügte er sich nicht mehr, uns schrägäugig<br />

und böse zu mustern, sondern er entblößte dazu seine gelben Zähne zu einem<br />

teuflischen Grinsen und d<strong>ro</strong>hte uns (auf Russisch): „Ihr werdet allesamt hier<br />

sterben! Ihr werdet allesamt hier sterben!“ Dies sagte er mit der beschwörenden<br />

Stimme eines bösen Unglücksp<strong>ro</strong>pheten, als wollte er uns suggerieren, doch<br />

endlich zu sterben. Dies wiederholte sich einmal, zweimal, neunmal, bis ich auf<br />

Äußerste aufgebracht aus dem Bett sprang und mich, die Faust fest um die<br />

Madonna geschlossen, der Tür näherte, ihm in die Augen sah, mit der Rechten<br />

ein g<strong>ro</strong>ßes Kreuz schlug und ihm zurief: „Idi tschort!“ (Verschwinde, Teufel!)<br />

Sein Grinsen verwandelte sich auf der Stelle in eine satanische Grimasse,<br />

seine Schrägaugen sandten Höllenblitze, er schlug das Türchen hasserfüllt zu<br />

und stieß einen schrecklichen, blasphemischen Fluch aus.<br />

Mein Exorzismus hatte Wirkung gezeigt. Von dem Moment an öffnete er<br />

das Türchen nicht mehr. Er begnügte sich damit, uns durch das Guckloch in der<br />

Mitte des Fensterchens zu verfolgen.<br />

Seine Figur eines Höllenwächters, die unausweichlich wie das Schicksal<br />

das Todesurteil sprach, verfolgte mich noch lange wie eine Obsession. Vor allem<br />

im Traum. Um diesen Alptraum loszuwerden, ließ ich ihn eine Person, der<br />

Schwarze Traum, in einem langen Poem mit dem Titel Das Kind und die Zeit<br />

werden, das ich zwei Jahre später in Odessa verfassen sollte. Der Schwarze<br />

Traum sagt zu dem in Gefangenschaft Gefallenen:<br />

In das Dunkel, in die Qual / brachte man dich für die Ewigkeit.<br />

Ertrag es ergeben, dein Los! Auf jeden Blick nach oben verzichte!<br />

Und vergiss die Auferstehung!<br />

Töte deine Seel und hüte dich, / noch irgendwas zu fühlen.<br />

Lerne, nicht mehr zu hoffen! / Und am Grund des schwarzen Schweigens

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