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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 237<br />

bis nach Bukarest im Herbst 1951 tun zu dürfen, als ich da nach der Entlassung<br />

aus dem Gefangenenlager von Bragadiru gerade angekommen war.<br />

Ich war in einen Friseurladen auf der Calea Mo[ilor getreten. Ein Friseur,<br />

der mich auch sonst schon bedient hatte und der mit einem Kunden gerade fertig<br />

war, gab mir zu verstehen, er sei frei. Ich näherte mich dem Sessel und warf<br />

einen zerstreuten Blick in den Spiegel, um zu sehen, wessen Platz ich einnahm.<br />

Verblüffung! Der, dem der Friseur nun das Puder aus dem Nacken wischte, war<br />

mein Mann, der Ideologe, der Theaterkritiker, der dem Inquisitor von Oranki die<br />

berühmten Anklagepunkte gegen meine „Operette” geliefert hatte, es war<br />

Lambrino in Person. Er war aufgedunsener und hatte Ringe unter seinen<br />

hervorstehenden Augen. Er bemerkte mich nicht, doch als er spürte, dass er<br />

beobachtet wurde, und mich schräg anschaute, erstarrte er. Wahrscheinlich<br />

muss ihm mein Antlitz im bedunsteten Spiegel wie das Gesicht eines Geistes<br />

vorgekommen sein, der aus einer dunklen Vergangenheit aufsteigt, um vor den<br />

verwischten Blick seiner Glotzaugen vergessene Verbrechen zu bringen. Er<br />

erhob sich mit abgewandtem Blick schnell vom Stuhl und eilte zur Kasse. Ich trat<br />

ihm in den Weg.<br />

„Grüß Sie, Genosse Lambrino... Siehe da, ich bin auch zurück... etwas<br />

später, aber dennoch”, was heißen sollte: „Siehe da, ich bin auch zurück; später<br />

zwar, aber ohne das Zeichen der Infamie auf der Stirn.”<br />

„Entschuldigen Sie! Aber ich kenne Sie nicht... Ich kenne Sie nicht.”<br />

„Aaaa, Sie kennen mich nicht? Das glaube ich Ihnen. Sie haben gute Gründe<br />

dafür.”<br />

„Ich kenne Sie nicht... Ich kenne Sie nicht”, wiederholte er, blieb an der<br />

Kasse stehen, zahlte und stürzte aus der Tür, als habe ihn eine Bremse<br />

gebissen.<br />

Dies war meine letzte Begegnung mit dieser kont<strong>ro</strong>versen Figur aus der<br />

Dunkelzone der rumänischen Gefangenschaft. Später erfuhr ich dann, dass er<br />

für seine „Aufopferung” von der kommunistischen Macht g<strong>ro</strong>ßzügig belohnt<br />

worden war, dass er zu Ämtern und Ehren kam und sogar Romane geschrieben<br />

hat. Leider aber schrieb er sie mit jener schwachen Tinte, vor der ich ihn in<br />

Oranki gewarnt hatte, die mit der Zeit verblasst, denn bislang habe ich nicht<br />

feststellen können, dass die Nachwelt etwas aus seinen Schriften behalten<br />

hätte.)<br />

Eines Tages Ende April erhielt ich eine seltsame Einladung seitens einer<br />

Kulturgruppe (die nun fast ausschließlich in den Händen der Freiwilligen lag,<br />

nachdem ich und all meine Freunde uns zurückgezogen hatten), mich im Klub zu<br />

präsentieren, wo ein Rechenschaftbericht zur Kulturaktivität des laufenden<br />

Jahres anstehen sollte.<br />

„Dies ist eine P<strong>ro</strong>vokation; sie wollen dich öffentlich anklagen; geh nicht<br />

hin!”, rieten mir die Freunde. Ich aber strich mir die Späne von den Brettern, die<br />

ich mit der Handsäge zuschnitt, aus den Haaren und ging entschlossen in den<br />

Klub. Der Saal war zur Hälfte mit den Choristen und Orchestermusikern usw.<br />

besetzt. Auf der Bühne saßen am <strong>ro</strong>ten Tisch mehrere Aktivisten, in deren Mitte<br />

nicht Terle]chi th<strong>ro</strong>nte, der verreist war, sondern die kleine Ana Sergeewna, die<br />

mit der Stupsnase, die „Kunstnatschalnika”. Nachdem ich auf einer Bank im<br />

hinteren Teil des Saales Platz nahm, hörte ich verblüfft, wie sie auf Russisch

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