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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 257<br />

65. FLACKERN LITERARISCHEN LEBENS IN M=N\ST=RKA<br />

Ich arbeitete im Wald, in einer Holzfällerbrigade. Es war eine schwere<br />

Arbeit, aber der Wald faszinierte und kräftigte mich. Ich trat mit einer Art<br />

Frömmigkeit unter sein Domgewölbe voller Schweigen und Mysterium. Bei jeder<br />

Begegnung mit ihm erlebte ich den unverwechselbaren Schauder aus meiner<br />

Kindheit wieder, der mich jedes Mal durchfuhr, wenn ich in das tiefe und ernste<br />

Geheimnis meines D=mbovi]aer 125 Waldes eintrat.<br />

Ich brachte mich nicht gerade um mit der Arbeit. Obschon die Norm g<strong>ro</strong>ß<br />

war, schafften wir – ich und mein Handsägepartner – sie letztlich, dank der paar<br />

Baumstämme, die geschicktere Hände g<strong>ro</strong>ßzügig und diskret auf unseren Stapel<br />

warfen. Übrigens, wenn es für die Brigade eng wurde und die Norm scheinbar<br />

nicht zu schaffen war (was unsere Zusatzrationen, selber auch schon kaum<br />

unser Überleben sichernd, gefährdete), halfen sich unsere schlauen Rumänen<br />

weiter, indem sie bereits vor ein paar Wochen abgenommene Normstapel<br />

„überfielen“ und die nötigen Baumstämme klauten, führte doch keiner mehr Buch<br />

dafür. (Schwerer hatte es die „Elfenbein“-Brigade, deren Männer schwere<br />

Birkenstämme auf dem Rücken schleppten, die sie dann im Winter gleich<br />

Ochsen vor einen Schlitten gespannt transportierten. Dort konnte man nicht<br />

tricksen.) So hatte ich denn nach meiner Rückkehr ins Lager noch die Kraft zu<br />

lesen, zu schreiben oder ab und zu an einem kleinen und diskreten Lyrikrezital<br />

teilzunehmen, bei dem Fonea seine neuesten Verse präsentierte. Desgleichen<br />

unvergesslich geblieben sind für mich die geheimen Begegnungen oben auf der<br />

Pritsche mit Haralambie }ugui 126 und Teodor Dan, zwei echte Dichter.<br />

Heimgekehrt, gelang es ersterem ein angesehenes literarisches Werk zu<br />

schaffen, während Dan sich als Staffel- und Tapisseriemaler einen Namen<br />

machte. Gerührt erinnere ich mich an ein Gedicht }uguis, Visul negru (Der<br />

schwarze Traum). Er war nach dem 23. August in Gefangenschaft geraten und<br />

wurde mit den grässlichen Viehwaggons der Todeszüge nach Nischni Nowgo<strong>ro</strong>d<br />

(Gorki von 1932 bis 1991, dazu auch Oranki gehörte) transportiert. Die Angst vor<br />

dem unbekannten Endziel dieses Wahnsinnstransports in einen Eisnorden war<br />

das Thema dieses desolaten Poems. Als Hommage an den Dichter Emil<br />

Gulian 127 (ausgezeichneter Übersetzer Edgar Allan Poes), der unlängst in der<br />

russischen Steppe dem F<strong>ro</strong>st zum Opfer fiel, versuchte }ugui in seinem Gedicht<br />

die Obsession der Unerbittlichkeit des Schicksals aus dem Raben zu<br />

verarbeiten, aus dem er auch das Motto gewählt hatte: Sprach der Rabe,<br />

«Nimmermehr.!. So wie bei Gulian dieses vom Raben gesp<strong>ro</strong>chene Wort, das<br />

einzige, einem bösen Omen gleich, dem zu entkommen es unmöglich ist,<br />

125 Kreis nördlich von Bukarest.<br />

126 1916-1996.<br />

127 Der Dichter Emil Gulian (1907-1942) war der erste rumänische Übersetzer von Edgar Allan Poes Lyrik,<br />

übersetzte aber auch französische Autoren wie Paul Claudel, George Duhamel und François Mauriac. Zu<br />

seinen berühmten Freunden gehörten Mircea Eliade, Mihail Sebastian und Eugen Ionescu.

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