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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 193<br />

„Der Arme!“, dachten wir bei uns, seine fraglos echte Revolte gestern<br />

Abend war das letzte und verzweifelte Aufzucken seines moralischen<br />

Widerstands. Dann hat er die Fahne gesenkt und „in die Kerze geblasen“. Dies<br />

war die Metapher, mit der die Altgefangenen das geistige Dunkel vorhersahen, in<br />

welches die Seele eintaucht, wenn sie die obersten Werte des Lebens aufgibt<br />

und hiermit letztendlich das eigene Selbst, um seine Hülle zu retten. An den<br />

folgenden Abenden gab es weitere solche Aufbegehranfälle gegen den<br />

sowjetischen Golem, der in seiner Beschlagnahmegier jedes Gewissen besudelt<br />

oder zerquetscht. Diesen abendlichen Anfällen folgte am Morgen das Ritual vor<br />

dem leeren Bett. Bis sich eines Morgens das von uns betrauerte Subjekt als ein<br />

Aurel Lambrino nahe stehender Mann herausstellte. Lambrino war sichtlich<br />

aufgewühlt von der Fahnenflucht seines Freundes und hielt es für angemessen,<br />

ein paar passende Worte über die Pflicht unseres Lebens, bis zum Tode unseren<br />

Prinzipien und dadurch „uns selber“ treu zu bleiben, dabei führte er als Beispiel<br />

Sokrates an , der es vorgezogen hatte, den Schierlingsbecher zu leeren, als die<br />

Gesetze der Polis zu übertreten. Dieser Hinweis war sublim und überaus<br />

überzeugend, allein, am nächsten Morgen fanden wir auch Lambrinos Bett…<br />

leer! Diese Entdeckung jagte uns allen einen Schrecken ein. Wir standen vor<br />

einer neuen und mysteriösen Epidemie: Abends, das akute wortreiche Fieber mit<br />

antikommunistischem Charakter, und nachts, das Verschwinden des Patienten<br />

aus seinem Bett und seine Übersiedlung in die dämmergraue Zone der toten<br />

Seelen genannt Lordkammer. Was war zu tun? Mussten wir all jene vom<br />

antibolschewistischen Wortschwallfieber Befallenen aufspüren? Und was hätten<br />

wir mit ihnen machen sollen? Sie die ganze Nacht über bewachen oder sie an ihr<br />

Bett fesseln, damit der unreine Geist sie nicht im Schlafe entführe? Spaß<br />

beiseite, die Lage war recht besorgniserregend: Was war mit diesen zum Teil<br />

wertvollen Menschen bloß passiert, dass sie in weniger als 12 Stunden eine<br />

180gradige Kehrtwendung vollzogen? Was für Ressorts tief in ihnen waren denn<br />

plötzlich, in Sekundenschnelle zusammengeb<strong>ro</strong>chen? Natürlich war die<br />

Augenblicklichkeit dieser Implosionen bloß eine scheinbare. Im Grunde<br />

genommen war sie die Resultante von sich nach und nach ansammelnden<br />

Spannungen, welche das Innere zermalmt hatten, ohne dass dies äußerlich zu<br />

sehen war. Die Fassade blieb intakt bis zum Moment der Detonation. Bald nach<br />

dem Lambrino-Desaster folgte genau so ohne vorherige Anzeichen und mit den<br />

gleichen Symptomen auch die Implosion Loni Teodorescus. Bloß dass dieser<br />

Fall in meiner Seele einen schmerzlicheren Widerhall hatte. Ich hatte mich daran<br />

gewöhnt, in ihm einen starken und hartnäckigen Menschen zu sehen, der<br />

Schweres durchgemacht hatte, Herr seiner selbst war und dazu auch andere in<br />

schwierigen Situationen unterstützte. (War nicht er es denn gewesen, der mich<br />

für das Match mit M=]\ vorbereitet hatte?) Es war mir nun peinlich, diesen<br />

Stützpfeiler unseres Widerstands (das ganze Lager sah in ihm einen solchen)<br />

auf ein Schutthäufchen zusammengeschrumpft zu sehen. Und wenn Menschen<br />

von Lonis moralischer Statur zusammenbrechen, wem konnte man dann noch<br />

vertrauen? Auf wen konnte man sich da noch stützen?<br />

Sein Umfallen löste in mir eine moralische Krise aus, eine Krise meines<br />

Menschenvertrauens. Aus der ich selbstverständlich letztlich herausfand. All<br />

dieses ereignete sich gegen Ende des Winters 1943-1944. Als Hintergrund für all

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