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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 396<br />

Nacht für Nacht der Abführung seiner Zellengenossen zum<br />

Exekutionskommando bei, stets darauf wartend, dass auch ihm die Stunde<br />

schlage.<br />

Nach ein paar Monaten eines solchen Siedens im eigenen Safte teilte<br />

man ihm mit, er sei begnadigt worden. (Es wäre auch ein zu starkes Ding<br />

gewesen, ihn für Taten, die in keiner internationalen Gesetzgebung zum<br />

Gefangenenregime als Straftaten gelten, hinzurichten.) Danach wurde er in ein<br />

Straflager irgendwo an der Kama, ein Nebenfluss der Wolga, gebracht, das den<br />

schauerlichen Namen Ela-Buga trug und wohin man die Unerwünschten<br />

schickte, also jene, die – wie wir sagten – in der Kirche gepfiffen hatten. Dort<br />

begegnete er seinem Schicksalskollegen Puiu Atanasiu aus Susdal, der in einer<br />

ähnlichen Sitzung wie jene aus Oranki das Spiel der T.-V.-ler kaputt gemacht<br />

und Cambrea mit dem Stigma des Verrats gebrandmarkt hatte, wie ich bereits<br />

berichtet habe. Auf seinen Reisen zu und Aufenthalten in den Straflagern war er<br />

mitunter in Gruppen, zu denen auch gemeinrechtliche Straftäter gehörten, und im<br />

sowjetischen Gefängnisregime konnte man da die unterschiedlichsten<br />

Kriminellen und die reinsten Bestienp<strong>ro</strong>file mit menschlichem Antlitz kennen<br />

lernen. So manches stieß dem Hauptmann zu, aber noch mehr bekam er von<br />

dieser monströsen Welt, die unterhalb der Humanität angesiedelt war, zu sehen.<br />

Aus all dem, was er mir erzählte, habe ich folgende Geschichte – man wird<br />

sehen, warum – ausgewählt.<br />

„Ich befand mich in einem Transitgefängnis“, begann der Hauptmann, „wo<br />

man uns, die Politischen, entgegen dem Usus, zusammen mit<br />

Gemeinrechtlichen Pritsche an Pritsche untergebracht hatte. Neben uns zog eine<br />

etwas lautere Gruppe von Jugendlichen meine Aufmerksamkeit auf sich. Unter<br />

den lomb<strong>ro</strong>sinischen 168 Typen geborener Krimineller bemerkte ich auch ein etwas<br />

heitereres, gar angenehmes Gesicht, das stets ein Lächeln zierte. Da ich einen<br />

Justizfehler vermutete, versuchte ich mit Hilfe eines benachbarten<br />

bessarabischen Offiziers, der sehr gut Russisch konnte, jene unbekannte<br />

Parzelle der Menschheit (das sowjetische Gemeinrecht) zu erforschen, die von<br />

diesem jungen Mann vor mir repräsentiert wurde.<br />

Am Ende des Gesprächs, das der junge Mann nonchalant führte, ohne je<br />

sein Lächeln abzulegen, erfuhr ich aus der Zusammenfassung des<br />

Dolmetschers, dass er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden war, weil er<br />

seine Mutter umgebracht hatte. Danach hatte er sie mit dem Hackbeil<br />

metzgergerecht zu Fleischstücken zerlegt und versucht, auf dem Basar<br />

preisgünstig an den Mann zu bringen, wo er dann erwischt wurde. Vor den Kopf<br />

gestoßen von dieser Hor<strong>ro</strong>rlawine, versuchte ich eine Erklärung von meinem<br />

Mörderengel zu bekommen.<br />

«Wie konntest du nur deine Mutter umbringen? Und warum tatest du’s<br />

denn?!, fragte ich ihn bestürzt durch den Dolmetscher.<br />

«Ja, wenn sie mir kein Geld für Wodka und nicht einmal für Zigaretten<br />

gegeben hat, was konnte ich da tun? Ich musste halt auch was verdienen!,<br />

antwortete mit dem gleichen Unschuldslächeln mein unglaublicher<br />

168 Im Orig.: „Lomb<strong>ro</strong>ziene“, ausgehend von dem italienischen Anth<strong>ro</strong>pologen und Kriminologen Cesare<br />

Lomb<strong>ro</strong>so (1835-1909)

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