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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 304<br />

80. EIN NEUER MORDVERSUCH. ZIELOPFER: VICTOR CLONARU<br />

Ein paar Tage nach dieser Auseinandersetzung wurden wir aus der<br />

Isolierung entlassen, das Gefängnis im Gefängnis aufgelöst. Vorläufig. Und wir<br />

kehrten in unsere Gebäudeblocks zurück. Aber nicht für lange Zeit. Die<br />

Eiterbeule, die für uns im Kommissariat reifte, musste ja früher oder später<br />

platzen.<br />

Bis dahin aber freuten wir uns nach zwei Monaten erstickender Enge<br />

hinter mit Brettern zugenagelten Fenstern über die stille Sonne der letzten<br />

Augusttage, über den zärtlichen Wind, der durch das Laub der Kastanien strich,<br />

unter denen wir spazieren gingen, sowie über jedes Bisschen frische Luft, das<br />

wir einatmen konnten. Wie wenig doch ein vom Schicksal gebeutelter Mensch<br />

braucht, um an den einfachen Dingen Freude zu haben und allein damit schon<br />

zufrieden zu sein!<br />

Aber diese euphorische Ruhe dauerte nicht lange. Die<br />

Ressentimentsausbrüche, wie Kolbassow euphemistisch die entfesselte<br />

Bestialität der Wachsoldaten gegen die Gefangenen nannte, fanden ein neues<br />

Opfer: Victor Clonaru. Wie es scheint, hatten sie es arg auf ihn abgesehen.<br />

Während des Hungerstreiks im Karzer zeigte einer von diesen, einer, der ihn als<br />

Anstifter bezeichnet hatte, auf unsere in üblem Zustand auf dem Steinboden<br />

ausgestreckten Jungs und sagte zu ihm: „Das sind deine Opfer, du Bandit. Warte<br />

nur, dich kriegen wir auch noch.“<br />

Und sie kriegten ihn. Eines schönen Tages, als seine Brigade zum<br />

Arbeitsplatz – zur Ziegelei – marschierte, fiel es dem Kommandanten der<br />

Wachsoldaten, ein Mongole, ein, ein zügigeres Marschtempo zu befehlen. Da<br />

aber niemand aus der Kolonne diesem Befehl Folge leistete, begann der<br />

Mongole zu brüllen und zog seine Pistole. Da aber auch diese Geste ihre<br />

Wirkung verfehlte, stürzte er mit der Pistole in der Hand auf Victor zu und<br />

wiederholte ihm den Befehl. Victor setzte seinen Weg, ohne ihn zu beachten, im<br />

gleichen Tempo fort. Geradezu tollwütig hob der Mongole die Pistole, um sie ihm<br />

über die Schläfe zu schlagen, aber durch eine Reflexbewegung wehrte Victor<br />

den Schlag ab, der ihn hinterm Ohr, am Hinterhauptknochen traf. (Der gegen die<br />

Schläfe geplante Schlag wäre tödlich gewesen!) Victor fiel hin, Blut spritzte, die<br />

ihm am Nächsten waren, schrieen ersch<strong>ro</strong>cken auf, die Kolonne blieb stehen,<br />

alle sahen ihn voller Blut am Boden liegen und stellten voller Schrecken fest,<br />

dass wir uns in der Gewalt von tollwütigen und mordlüsternen Affen befanden,<br />

und die Revolte brach aus der Brust all der Heloten hervor, und ihre Schreie<br />

erschütterten die Taiga: Kri-mi-nelle, Be-stien, Kri-mi-nelle, Be-stien ihr…! Die<br />

Ausgeburten wichen zurück, ersch<strong>ro</strong>cken angesichts dieser Explosion von<br />

Empörung und Hass, die ihnen mit all unserem Ekel und unserer Verachtung ins<br />

Gesicht geworfen wurden, und griffen zu den Ladern ihrer MPs.<br />

Kri-mi-nel-le! Bes-tien ihr! Zwei Tschassowojs zogen den ohnmächtigen<br />

Victor ein paar Schritte hinter sich her bis vor die Füße des Kriminellen, der –

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