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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 238<br />

sagte: „Nun können wir beginnen” – als hätte man nur auf mich gewartet, um<br />

anzufangen. „Natürlich”, dachte ich bei mir, „eine Anklage kann nur in Gegenwart<br />

des Angeklagten verlesen werden.”<br />

„Gaspadin Litinant C=rstocea”, fuhr die Natschalnika fort, „wird uns den<br />

Rechenschaftsbericht zur Kunstaktivität der Saison 1944-1945 vorlesen.” Litinant<br />

C=rstocea, der im Lage<strong>ro</strong>rchester an einer Mandoline zupfte, war nun der<br />

„Verantwortliche” der Künstlergruppe.<br />

Er erhob sich und begann zu lesen. Im Wesentlichen bestand sein<br />

„Rechenschaftsbericht” nur aus Statistik und Arithmetik. Er hatte ohne<br />

Unterschied alle Vorstellungen, sowohl die Revuen, als auch die Operette<br />

zusammengezählt. Dann fächerte er diese, ohne sie zu nennen, nach<br />

Genrekategorien auf, so und so viele Solos, so und so viele Duette, so und so<br />

viele Chöre, so und so viele Orchesterstücke, Tänze, Vorträge von Gedichten,<br />

Sketches, Witze usw., genau so wie man ein Schwein in so und so viele<br />

Kotlettes, so und so viele Filetstücke, so und so viel Hackfleisch usw. tranchiert.<br />

Welches war denn die Finalität dieser Metzgerarbeit, wodurch unsere<br />

Schauspiele mit dem Fleischbeil in ihre Grundteile zerhackt und einzeln gezählt<br />

wurden?<br />

Jene, über was auch immer zu reden, ohne den Tabu gewordenen Namen<br />

Basar der Illusionen oder „Operette“ zu nennen. Ich konnte nicht anders, ich<br />

bewunderte den Einfallsreichtum, den der Betreffende unter Beweis stellen<br />

musste, um einem komp<strong>ro</strong>mittierenden Thema auszuweichen.<br />

Das so irrelevante Ende dieser statistischen Präsentation, die alles, was<br />

Erleben, Seele, Begeisterung, Charme auf dieser armen Lagerbühne gewesen<br />

war, hinter in kalten Ziffern versteckte, verblüffte die Zuhörenden völlig, so dass<br />

nur anämischer Applaus folgte. Ana, der der Vortrag Satz für Satz übersetzt<br />

worden war, erhob sich und fragte, ob es Fragen gäbe, und da einstimmig<br />

geschwiegen wurde, ergriff sie das Wort.<br />

Sie dankte ihrem Vorsprecher für seine Präsentation, drückte jedoch ihre<br />

Verwunderung darüber aus, dass sie darin keine Erwähnung unserer Operette<br />

Der Basar der Illusionen gefunden habe, die ja ein ausgezeichnetes Schauspiel<br />

gewesen sei, herzerfrischend und ein Labsal für jeden, der es gesehen habe,<br />

und die uns, den Rumänen, die wir sie auf die Bühne gebracht hatten, zur Ehre<br />

gereiche.<br />

Als ich diese Wertschätzungen ihrerseits hörte, angesichts all der<br />

Verurteilungen, die doch ebenda gegen die „Operette“ und gegen mich, dazu<br />

auch noch von einem g<strong>ro</strong>ßen Tier des NKVDs vorgebracht worden waren,<br />

konnte ich meinen Ohren nicht recht trauen. Mir war, als träumte ich.<br />

„P<strong>ro</strong>fitieren wir doch von dieser Gelegenheit“, fügte sie noch hinzu, „und<br />

beglückwünschen wir jenen, der uns dieses Schauspiel geboten hat, nämlich<br />

Gaspadin Litinant M\rculescu, hier anwesend“, und in dem sie auf mich zeigte,<br />

gab sie dem Saal das Zeichen, Beifall zu klatschen, und diesmal war der<br />

Applaus einstimmig und warm, insbesondere jener aus dem Saal, seitens der<br />

Choristen und Orchestermusiker, die unabhängig von ihrer politischen Option<br />

Sympathie für mich empfanden.<br />

„Und da ist noch was“, fuhr Ana fort. „Ich habe gehört, dass ihr vorhabt,<br />

Gogols Revisor zu inszenieren.“ (Ich war sprachlos. Sieh an, meine indirekt an

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