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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 157<br />

unsere Jungs alle Schlafräume mit den „Nachrichten“, die sie von den „Russen“<br />

bekommen hatten, und solcherweise erhielten diese unumstößliche Authentizität<br />

und Glaubwürdigkeit. Sogar jene, welche diese „Nachrichten“ erst erfunden und<br />

dann in Umlauf gebracht hatten, glaubten nun fest an ihre Wahrhaftigkeit. (Damit<br />

wiederholte sich die Geschichte P\cal\s 77 , der erst allen im Dorf erzählt, ein<br />

riesiger Fisch sei aus dem Fluss aufs Ufer gesprungen, dann, als er sieht, dass<br />

alle Leute an den Fluss laufen, selbst auch hingeht, um das Wunderding zu<br />

sehen.)<br />

So kam es, dass sowohl wir, als auch jene von Oranki und die<br />

Dorfbewohner (vielleicht auch andere noch – wir wissen nicht, bis wohin diese<br />

Psychose gereicht hat) infolge eines Selbstillusionierungsp<strong>ro</strong>zesses im<br />

Zirkelschluss außerhalb der Realität lebten, in einer Welt der Träume und<br />

Vorstellungen. Der Pa<strong>ro</strong>xysmus jedoch dieses kollektiven (rumänischrussischen)<br />

Deliriums kam mit der Bombennachricht, dass der Frieden bereits<br />

geschlossen worden sei, allerdings zu Ungunsten der Sowjetunion: „Die<br />

Deutschen haben die Ukraine erhalten, und Rumänien die Grenze am Bug“,<br />

schloss triumphierend ULt. Posea, mit den Zügeln des Pferdchens in der Hand,<br />

mit dem er unsere Lebensmittel aus Oranki herankarrte. „Das haben uns die<br />

Russen aus dem Dorf selber gesagt“, betonte der die Glaubwürdigkeit der<br />

Nachricht. (Welche Russen denn, jene, die wir mit von uns erfundenen<br />

Nachrichten gefüttert hatten?) Momentan stieg im Rahmen der Psychose die<br />

Zahl der Rücktritte aus den Reihen der „Antifaschisten“. Codler verstand die Welt<br />

nicht mehr. Sein Spitzelnetz war am Boden, gleich einem St<strong>ro</strong>mnetz nach dem<br />

Hurrikan. Natürlich p<strong>ro</strong>fitierten auch wir von der Verwirrung der „Antifaschisten“,<br />

um sie dazu anzuhalten, sich vom Satan loszusagen. In einem der Schlafsäle<br />

von Oranki gab es einen Oberst (sein Name ist mir entfallen), der im Traum<br />

sprach. Mitten in der Nacht weckte er den gesamten Schlafsaal mit furchtbarem<br />

Gebrüll aus dem Tiefschlaf: „Verräääter! Ihr habt euer Land verkauft… An die<br />

Mauer mit euch! Exekutionskommando, Gewehr laden! Auf die Verräter vor<br />

euch… Feueeer!“<br />

„Herr Oberst, wachen Sie auf, sie haben etwas Schlimmes geträumt!“,<br />

rüttelte sein Bettnachbar an ihm.<br />

„Was ist denn? Was ist? Hat jemand gerufen?“, fragte dieser verschlafen.<br />

„Nein. Sie haben gerufen. Was haben Sie denn so Schlimmes geträumt?“<br />

„Kann mich nicht erinnern. Tut mir leid. Entschuldigt, bitte.“<br />

Aber in den folgenden Nächten wiederholte sich die Geschichte nach<br />

demselben Drehbuch, der Gerechtigkeitsdurst des Obersts war mit ein, zwei<br />

Hinrichtungen nicht gestillt worden. Allein, jene, die sich schuldig fühlten, fanden<br />

keinen Schlaf mehr und grübelten bis in den Morgen darüber nach, was sie denn<br />

tun sollten, um nicht vors Kriegsgericht zu gelangen. Und so kam es, dass<br />

Codler am Morgen acht, neun Austrittsanträge bekam; und in der<br />

ausgeb<strong>ro</strong>chenen Panik wuchs ihre Zahl in die Dutzende (ähnlich den<br />

Geldabhebungen aus einer bank<strong>ro</strong>tten Bank), bis von all der berühmten Blüte<br />

der „Antifaschisten“ bloß noch der Kern übrig blieb, der aus zwei, drei so sehr<br />

77 P!cal! ist der witzig-kluge, aber naiv auftretende Held vieler rumänischer Volkschwänke.

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