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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 246<br />

62. 6. AUGUST 1945. DIE VERKLÄRUNG<br />

Dieser Feiertag verbrachten wir, die transportfähigen kranken Rumänen,<br />

in jenem Jahr auf dem Weg aus dem Orankispital nach M=n\st=rka, wo sich zu<br />

jener Stunde das G<strong>ro</strong>s unseres in Gefangenschaft geratenen Offizierskorps<br />

befand.<br />

Es war ein herrlicher Tag. Ein Morgen wie am Ende des Sommers. (So ist<br />

es an jenem Breitengrad, der Sommer kommt spät und geht früh.) Der Konvoi<br />

war klein. Voran ging in maßvollem Schritt ein Jüngling von einem Tschassowoj,<br />

mit seiner automatischen Balalaika am Hals; hinter ihm – ein Häufchen<br />

menschlichen Elends, die aus dem Krankenhaus Entlassenen, und als<br />

Schlussmann folgten ein genau so junger Soldat mit seiner MP am Hals und eine<br />

Krankenschwester, die uns im Notfall helfen sollte und die bis dahin mit ihrem<br />

Weggenossen herumgeflunkert und –geknutscht hatte. Ich freute mich am<br />

lockeren Tempo, in dem wir marschierten und genoss nach drei Wochen<br />

Spitalaufenthalt voll die Waldlandschaft der Taiga, die sich vor meinen Augen auf<br />

den kleinen Hügeln und Tälern, durch die uns unser staubige Landweg führte,<br />

ausbreitete: Kiefernwälder mit rötlichen und schuppigen Stämmen, die<br />

Drachenbäuchen glichen, geheimnisvoll dunkelgrüne Fichten, Birken mit weißen,<br />

leicht gebeugten Stämmen, welche der Landschaft Rhythmus verliehen, und hie<br />

und da sah man im sommerlichen Laub ein paar gelbe oder <strong>ro</strong>te Flecken, wie<br />

eine Anspielung auf den Herbst. Darüber wölbte sich, an einen emaillierten<br />

Küchentopf erinnernd, ein bläulicher Himmel. (Wer die nordische Landschaft<br />

Russlands nicht gesehen hat, mit ihren rauen Farbenkonf<strong>ro</strong>ntationen, kann die<br />

harte, krass kontrastierende Ch<strong>ro</strong>matik der russischen Ikonen nicht verstehen.)<br />

Und vielleicht hätte die Sonne dieses Farbenspiel bis zum Wahnsinn mit<br />

aggressiven Klängen exaltiert, wenn nicht morgendliche Nebelfetzen von Mal zu<br />

Mal in dies ch<strong>ro</strong>matische Konzert gleich einem beruhigenden Tampon eine graue<br />

Stille eingebaut hätten. Wir hatten fast die Hälfte des Weges zurückgelegt, als<br />

der kleine Konvoi auf einer kahlen Anhöhe, der höchsten in der Gegend, anhielt,<br />

von wo man nach allen Richtungen hin freien Ausblick hatte. Wir durften uns ein<br />

paar Minuten ausruhen. Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasste, mich<br />

umzudrehen und in der Ferne den Hügel zu suchen, auf dem Oranki lag. Da aber<br />

jener Horizontstreifen im Nebel lag, war kein Oranki zu sehen, und mein Blicke<br />

bohrten sich vergeblich in den Morgendunst, bis plötzlich im Nebel ein Lichtball<br />

Gestalt annahm. In ihm waren nach und nach wie aus Silberfiligran die Konturen<br />

des Klosters zu erkennen. Da, die Kirche mit ihren kreuzlosen Türmen, die<br />

untere Hälfte von den Wohngebäuden verdeckt, deren untere Hälfte ihrerseits<br />

von der Innenmauer verdeckt wurden, wobei deren Basis den Boden gar nicht<br />

mehr berührte, denn sie verschmolz mit dem Nebel geradeso als schwebte sie in<br />

der Luft. Oranki zeigte sich uns aus der Perspektive einer byzantinischen Ikone,<br />

welcher die dritte Dimension, die Tiefe, fehlte, und alle Gebäude und die Kirche,<br />

einander überlagernd, befanden sich auf der gleichen Ebene wie auf dem<br />

Hintergrund einer alten Ikone. Dieses Licht aber, welches das gesamte Bild in

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