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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 197<br />

50. DAS DRAMA GENANNT „23. AUGUST“<br />

Währenddessen ging die Geschichte ihren Gang. Die strategische<br />

Landkarte der Krieg führenden Kräfte Eu<strong>ro</strong>pas, die demonstrativ am Klubeingang<br />

angebracht worden war, zeigte einen Lava ähnlichen Erguss der sowjetischen<br />

Einheiten Richtung Rumänien, und ihre <strong>ro</strong>ten Pfeile und Fähnchen staken gleich<br />

Messern im Leib unseres Landes.<br />

Im Westen erzählten andere Pfeile und Fähnchen von der Landung der<br />

Alliierten in der Normandie und vom Anfang des Endes. Unter dem Druck der<br />

neuen Kräfteverhältnisse wurden lange sich ankündigende Ereignisse<br />

gezwungen, vorzeitig Wirklichkeit zu werden. So erklärt sich auch der<br />

„F<strong>ro</strong>ntenwechsel vom 23. August“. Es war beim Abendappell, an einem hellen<br />

und ruhigen Tagesende, als wie ein Blitz diese Nachricht einschlug. Codler ließ<br />

es sich nicht nehmen, uns davon höchstpersönlich und mit sadistischer<br />

Genugtuung nach Abschluss der Zählung in Kenntnis zu setzen. Er las uns die<br />

P<strong>ro</strong>klamation Seiner Majestät vor, welche den Austritt Rumäniens aus dem<br />

Hitlerkrieg und die Umkehr der Waffen gegen Nazideutschland verkündete, mit<br />

dem Ziel, Nordsiebenbürgen zu befreien 98 . Nachdem er fertig gelesen hatte,<br />

kommentierte der euphorische Codler kurz und triumphierend das Ereignis, unter<br />

dem Beifall der Minderheit, welche auf die sowjetische Karte gesetzt hatte. Diese<br />

Überläufer atmeten erleichtert auf, mussten sie sich doch für ihre Taten<br />

mindestens vor dem Gesetz nicht mehr verantworten. (Für die moralische Schuld<br />

ist das Jüngste Gericht zuständig.) Als wir auseinander gingen, fanden wir uns in<br />

kleinen Gruppen wieder. Allen stand Verbitterung und Besorgnis ins Gesicht<br />

geschrieben. Einige von uns brachen in Tränen aus. Ich selbst fand mich in einer<br />

Umarmung mit Pfarrer Beschia wieder, wir weinten einer auf der Schulter des<br />

anderen wie beim Verlust eines Lieben Menschen. Der gute, f<strong>ro</strong>mme und heilige<br />

Pfarrer Beschia war mein Beichtvater. Gott hab’ ihn selig! Er wischte sich die<br />

Tränen und fragte mich mit gewürgter Stimme: „Herr Lehrer, was wird aus<br />

unserem Land? Was werden diese Horden denn tun, wenn sie es überfallen?“<br />

Später, als ich repatriiert wurde, sollte ich erfahren, dass dies Ereignis<br />

Freudenausbrüche auslöste und sogar von guten Rumänen mit Champagner<br />

gefeiert wurde. Die Armen! Genau wie der Sektschaum sollte sich auch ihre<br />

Euphorie beim ersten Kontakt mit den neuen „Verbündeten“ in Luft auflösen. Wir<br />

Gefangene aber, die wir am Grund der Hölle lebten, verbrüht vom<br />

überkochenden „Kessel Satans“, wir, die wir am eigenen Leibe alle<br />

Überzeugungsmethoden dieses schlauen und <strong>ro</strong>hen E<strong>ro</strong>berers erfahren hatten,<br />

und denen das unheimliche Privileg zuteil geworden war, Zeugen des gesamten<br />

P<strong>ro</strong>zesses sei es der Zerstörung, sei es der Satanisierung der ihm in die Hände<br />

gefallenen Opfer zu sein, wir verfügten über den besten Platz, um wie auf einem<br />

Bildschirm sehen zu können, was mit unserem Land passieren sollte. Deswegen<br />

98 Infolge des Wiener Diktats von 1940 war dieser Teil G<strong>ro</strong>ßrumäniens gezwungenermaßen an Ungarn<br />

abgetreten worden.

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