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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 156<br />

glücklich. Sahen uns bereits zu Hause, wie wir die uns teuren Wesen umarmten.<br />

Von Träumen gewiegt, schliefen wir gleich Säuglingen ein.<br />

Nicht alle jedoch erfreuten sich eines solch gesegneten Schlafes. Es gab<br />

einige, denen die Ereignisse – besser gesagt, die Interpretierungen derselben –<br />

wahre Sorgenfalten in die Stirn trieben. Es waren jene, die den Köder des<br />

schlauen Feindes geschluckt hatten. Es waren jene, die sich bei den<br />

Antifaschisten eingeschrieben hatten und sich für die Gründung von Divisionen<br />

eingesetzt hatten, mit denen man gegen das eigene Volk kämpfen sollte, um den<br />

Kommunismus ins Land zu bringen. Es waren jene, welche auf die unterste Stufe<br />

der Degradierung hinab gestiegen waren, jene des Denunziantentums, mit der<br />

Folge, dass viele von uns in die „Alba“ (den Karzer) kamen. All diese nun erfüllte<br />

die Aussicht, in ein normales Land zurückzukehren, so wie wir Rumänien ja<br />

zurückgelassen hatten, mit Schrecken. Sie sahen sich bereits vor dem<br />

Kriegsgericht und dann vor dem Exekutionskommando, denn der Marschall<br />

verstand keinen Spaß. Deswegen machten in dieser Nacht viele Gefangene<br />

weder hier, noch in Oranki ein Auge zu, und im Morgengrauen beschlossen<br />

einige dieser Schlaflosen, mit dem Satan zu brechen. Ein paar Tage lang nach<br />

dem 5. Mai, dem Tag, an dem das Essen besser geworden war, erhielt der<br />

Kommissar voller Bestürzung eine Menge Austrittsanträge aus der<br />

antifaschistischen Bewegung. Und dies war bloß der Anfang. Was die<br />

kulinarische Verwöhnung betrifft, eine Volksweisheit besagt ja, dass kein Wunder<br />

mehr als drei Tage andauert. Nun gut, unseres dauerte eine Woche lang. Dann<br />

waren der mandschurische Kaviar und der Lachs und die amerikanischen<br />

Hähnchenkeulen und alle kulinarischen Zaubereien der Kapitalisten vom Tisch<br />

und wir kehrten zurück zum sowjetischen Lagermenü. Allerdings nicht mehr auf<br />

das katast<strong>ro</strong>phale Niveau von vorher, sondern auf eines, auf dem der Hunger,<br />

wenn auch weiterhin eine Permanenz (er verschwand die ganze Gefangenschaft<br />

über nie ganz), nicht mehr die anfänglichen irrsinnigen Ausmaße erreichen sollte.<br />

Die Woche der Lebensmittelwunder war eine äußerst wohltuende. Sie bedeutete<br />

für unsere Körper einen Schock. Brachte diese zurück auf die Wasserlinie. In der<br />

Wunder-Woche und auch danach gingen all die Gerüchte von Frieden und<br />

Repatriierung weiterhin fieberhaft um. Die Gerüchteküche befand sich in Oranki,<br />

wo des Satans Kessel kochte (wenn diesmal auch bei anämischem Feuer),<br />

jedoch auch der Widerstands-Herd der rumänischen Gefangenen lag. Von dort<br />

wurden die „Kriegskommuniqués“ in Umlauf gebracht, die uns aus dem Herzen<br />

sprachen. Diese „Nachrichten“ gelangten von Oranki nach Skit über jene, die für<br />

die Lebensmittelversorgung zuständig waren, und kehrten an die<br />

Ursprungsquelle angereichert mit Details zurück, die angeblich von unseren<br />

russischen Natschalniks stammten. In Oranki gab es aber auch noch andere<br />

Nachrichtenquellen. Etwa die Arbeitsbrigaden, die mit den Dorfbewohnern in<br />

Berührung kamen. Wenn eine solche Brigade mit den Einheimischen<br />

zusammenkam, wurden als erstes Nachrichten ausgetauscht. Als die<br />

Dorfbewohner von Mir (Frieden) und Demobilisierung hörten, bekreuzigten sie<br />

sich und sagten dai, Bosche! – Gott gebe! Eine Woche später, als eine andere<br />

Arbeitsbrigade ins Dorf gelangte, bekam sie von den Russen heimlich all das<br />

zugeflüstert, was sie von der vorigen Brigade gehört hatten, bloß war alles ihrem<br />

genetischen Hang zur Lüge entsprechend aufgebauscht. Wieder im Lager, füllten

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