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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 301<br />

verwandelte) mit Jahren in einem Strafnoi Lagher bezahlen sollte. Ihre<br />

physischen Unzulänglichkeiten kompensierte diese eher hässliche Jüdin durch<br />

eine angenehme und vornehme Freundlichkeit, die im Kontrast zur Umgebung<br />

stand und von einer ungesunden sozialen Herkunft aus einem intellektuellem<br />

Milieu (der Intelligentsia) zeugte. Das Verhör ging mit den üblichen<br />

Routinefragen los, dabei ich nicht umhin konnte, Gorbatschowas schwache<br />

Übersetzungsleistung in die und aus der von B. gelernten rumänischen Sprache<br />

festzustellen. Ich schlug ihr deswegen vor, zum Deutschen überzugehen (das ich<br />

besser beherrschte, als sie das Rumänische). Sie nahm das Angebot erfreut an.<br />

Schließlich näherte sich Kolbassow dem Kern der Sache: Würde ich, aus der<br />

Isolierung entlassen, die Lage<strong>ro</strong>rdnung respektieren?<br />

Ich gab ihm die bereits vorbereitete Antwort: „Selbstverständlich, in dem<br />

Maße, in dem diese die internationalen Abkommen die Rechte der Gefangenen<br />

betreffend beachtet, welche auch von der Sowjetunion unterzeichnet worden<br />

sind und welche sie erst einmal auch mit ihrer Anwendung ehren muss.“<br />

Kolbassow machte g<strong>ro</strong>ße Augen: „Was willst du damit sagen? Von was für<br />

Rechten sprichst du denn?“<br />

„Von dem Recht, als Menschen behandelt zu werden.“<br />

„Was denn“, erwiderte Kolbassow, mit nobler Empörung, „ihr werdet nicht<br />

als Menschen behandelt? Du stellst unseren sowjetischen Humanismus in<br />

Frage?“ (Schon wieder die ewige Verwechslung von Humanismus und<br />

Humanitarismus.)<br />

„Ich stelle nicht den sowjetischen Humanismus in Frage, sondern seine<br />

Anwendung in Oranki. Wenn das rinderähnliche Anspannen der Gefangenen vor<br />

Schlitten, ihre Traktierung mit Gewehrkolbenschlägen seitens der<br />

Bewachungssoldaten auch noch Humanismus ist, dann ist es einer vom Schlage<br />

Orankis, und ich habe nichts mehr zu bemerken.“ Meinen letzten Worten folgte<br />

ein Schweigen, aus dem heraus ich mit einer harten und anschuldigenden<br />

Erwiderung rechnete, um dann anschließend zurück in den Isolierungsraum<br />

geschickt zu werden. Dem war aber nicht so. Der Mann war gescheit und<br />

geschickt. (Ein Spion kann sich den Luxus, dumm zu sein, nicht erlauben.) Er<br />

besaß wohl eine Vorliebe für die gegensätzliche Diskussion, von der er mehr zu<br />

gewinnen rechnete als von einem imperativen Gespräch.<br />

„Siehst du“, nahm er das Gespräch wieder auf, „alles, was du erzählt hast,<br />

sind die Folgen des ungerechten Krieges, den ihr gegen die Union geführt habt,<br />

sowie der Zerstörung von Bevölkerung und Gütern durch die von euch<br />

ausgeführten Militäraktionen. Glaubt ihr denn nicht auch, dass ihr irgendwie<br />

diese Schäden, wenn nicht gar Verbrechen bezahlen müsst? Und dass diese<br />

Ausbrüche von Ressentiments, wenn sie auch nicht gutzuheißen sind,<br />

wenigstens verständlich sind seitens dieser einfachen Menschen, wie es jene<br />

sind, die euch bewachen und von denen so mancher Heim und Familie durch<br />

diesen ungerechten Krieg, den ihr gegen uns geführt habt, verloren hat?“<br />

„Verzeihen Sie, Herr Hauptmann“, unterbrach ich ihn, „erlauben Sie mir zu<br />

bemerken, dass nicht die Bewachungssoldaten, diese einfachen Menschen, uns<br />

vor die Schlitten gespannt haben. Angespannt hat uns die Lagerverwaltung,<br />

deren Taten stets vom Verstand, von Prinzipien und nicht von<br />

Ressentimentsausbrüchen diktiert werden. Dann, so Sie mir gestatten, möchte

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