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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 339<br />

Hungerstreik aus dem Weg gingen. Seitens der Machthaber gab es keine<br />

Bewegung, keine Verhaftung. Sie taten so, als ignorierten sie uns. Am zweiten<br />

Tag spielten sie das gleiche Spiel, und wir zeitigten unsererseits die gleiche<br />

entspannte und abwartende Haltung. Bloß von Schubert, der vom Augenblick der<br />

Streikerklärung an bis zu ihrem Ende nicht mehr von unserer Seite weichen<br />

sollte, versuchte uns zu überreden, doch zu essen, denn ansonsten würde uns<br />

die Verwaltung sterben lassen, sei sie ja im Grunde genommen sogar f<strong>ro</strong>h<br />

darüber, dass wir selbst in diese Falle gegangen waren, aus der wir nur noch mit<br />

den Beinen voran wieder rauskommen würden, sie werde ja keinerlei Schuld<br />

treffen. Aber, fügte er mit suspektem Nachdruck hinzu, dies sei keineswegs die<br />

Meinung der Verwaltung, sondern seine persönliche, ganz allein seine Meinung.<br />

Am dritten Tag, die gleiche Ruhe auf Feindesseite. Es war klar, seine Taktik<br />

bestand darin, uns im eigenen Saft schmoren zu lassen. Was uns betrifft, so<br />

lagen wir auf unseren Pritschen und sprachen über alles Mögliche, außer über<br />

den Streik, und legten wie auch bis dahin die gleiche Ruhe und Gleichgültigkeit<br />

an den Tag, hinter denen wir die fortschreitende Ruinierung unserer Physiologie<br />

durch die Aggression von Hunger und Hypothermie zu kaschieren suchten. Bloß<br />

ein unfreiwilliger Schmerzenszug im Gesicht oder die opaken Blicke zeugten<br />

vom inneren Elend hinter der aufgesetzten Maske. Tatsächlich waren wir in<br />

diesen Streik mit dem Handikap von zwei Monaten Exterminierungsregime<br />

getreten, unsere physische Widerstandskraft war von Anfang an stark<br />

geschwächt.<br />

Aber uns blieb die psychische. T<strong>ro</strong>tz des Elends aus uns und um uns<br />

herum, hielt der Geist von hoher Warte Wacht („Die Seele aber wachte so hoch<br />

oben, / Dass der Tod sie nicht mehr greifen konnte“ 149 , wie unser heiliger<br />

Märtyrerdichter Vasile Voiculescu 150 schrieb, der mit seiner strahlenden Gnade<br />

das Dunkel unserer Gefängnistage erhellte). Dies war die Kraft, die uns im<br />

schwarzen Wasser der Ereignisse, in denen wir schwammen, uns oben, an der<br />

Oberfläche hielt. T<strong>ro</strong>tzdem entstand am Abend des dritten Tages Unruhe: Einer<br />

der Hauptmänner missachtete den stillschweigenden Konsensus und begann<br />

sich zu fragen, wie lange denn sie sich denn noch desinteressiert unserem Streik<br />

gegenüber zeigen würden, ob sie sich denn nicht etwa vorgenommen hätten,<br />

uns krepieren zu lassen, und schließlich wie lange wir denn noch streiken sollten,<br />

wenn uns eh niemand Beachtung schenkte?<br />

„Wie lange? Bis wir alle den Löffel abgeben?“, fragte er sich beunruhigt.<br />

„Wie lange?“, griff ich vehement und – zugegeben – taktlos ein. „Diese<br />

Frage hätten Sie sich vor Beginn der Aktion stellen sollen, nicht jetzt. Damals<br />

wurde klar und unumwunden gesagt, dass dieser Streik kein Spiel ist und größte<br />

Risiken bis hin zum Tod in sich birgt. Warum haben Sie denn mitgemacht, wenn<br />

Sie dieses Risiko nicht akzeptieren?“ Als er das Wort Tod hörte, weiteten sich die<br />

Augen des Hauptmanns vor Schrecken und gewaltig gestikulierend begann er zu<br />

brüllen: „Aber ich will ja nicht sterben… Ich will nicht steeerben… will nicht“. Er<br />

war nervlich untern durch.<br />

149 „Dar sufletul veghea atît de sus, / C! moartea nu putea s!-l mai ajung!.“<br />

150 Der Arzt und Lyriker Vasile Voiculescu (geb. 1884) war selbst auch politischer Häftling zwischen 1958-<br />

1962, erkrankte im Gefängnis an Krebs und verstarb 1963, ein Jahr nach seiner Entlassung.

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