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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 475<br />

Bauern sich dies und fieberten nun, nach Kriegsende, dem Ereignis entgegen.)<br />

Übrigens habe ich auf die Landverteilung ja bereits hingewiesen.<br />

In dieser Atmosphäre kollektiver Psychose stiegen eines Tages auf einer<br />

Kolchose in einem ukrainischen Dorf drei Herren in Ledermänteln aus einem<br />

offiziellen Wagen, mit Mappen, Ausweisen und vom Zentrum besiegelten<br />

Delegationsvollmachten, die sich dem Vorsitzenden als „Kommission für die<br />

Umsetzung des Landverteilungsdekrets Nr… vom…, unterzeichnet von<br />

Generalissimus Stalin“ vorstellten und diesen aufforderten, sofort die<br />

Generalversammlung der Kolchosniks einzuberufen, um die Liste derer<br />

aufzustellen, die Recht auf Landzuteilung hatten, also mit den ehemaligen<br />

Kriegsteilnehmern sowie anderen „verdienstvollen“ Personen, eine Formulierung,<br />

die allen Bewohnern die Türen zum Landbesitz öffnete und einen allgemeinen<br />

Wahnsinn auslöste. Umgehend wurden also Listen mit Antragstellern aufgestellt<br />

und festgehalten, wie viel Land ein jeder denn wünschte.<br />

„Ein P<strong>ro</strong>blem für die sofortige Landzuteilung“, erklärte einer der hohen<br />

Gäste, „besteht darin, dass es an Landvermessern mangelt, die sowieso schon<br />

überfordert werden von anderen Kolchosen, die alles Denkbare daransetzen, um<br />

sich ihre Dienste zu sichern. Wenn man aber diesen «Messmännern! die<br />

Überstunden entgeltet, könnte die Sache umgehend organisiert werden“, schloss<br />

er listig. Der Vorschlag wurde mit irrsinnigem Applaus aufgenommen, und die<br />

Generalversammlung stimmte stehenden Fußes für eine bedeutende<br />

Rubelsumme, mit der Bitte, doch so hilfsbereit zu sein, mit diesem Geld<br />

persönlich die Landvermesser zu bezahlen, um die ersten zu sein, für die letztere<br />

arbeiteten. Was der Betreffende nach langem Zögern schließlich akzeptierte, und<br />

erneut kam es zu einer Euphorieexplosion der Versammlung.<br />

Und so kehrte die ehrwürdige Kommission zurück ins Bezirkszentrum,<br />

reichlich mit Geld ausgestattet und den Wagen voll beladen mit Ehrengaben,<br />

nachdem sie von den Kolchosniks, die nun nur noch auf die Landvermesser zu<br />

warten hatten, mit flatternden Taschentüchern verabschiedet worden waren.<br />

Bis hier war alles wie im Revisor, allein der Ausgang für die Hochstapler<br />

sollte ein anderer sein. Hätte es sich bloß um eine Betrügerei, wenn auch eine<br />

riesigen Ausmaßes, gehandelt, wäre es Aufgabe der Bet<strong>ro</strong>genen gewesen, den<br />

Verlust zu begleichen (und ihre Dummheit zu kaschieren), oder der Miliz, die<br />

Hochstapelei aufzudecken, was aber wenig wahrscheinlich war. Das Pech der<br />

gewitzten Männer war jedoch die Tatsache, dass die ganze Geschichte von<br />

einem Tag auf den anderen sozial-ökonomisch-politische und<br />

staatssicherheitliche Konnotationen bekam, an die sie gar nicht erst gedacht<br />

hatten. In der Region nämlich, wo die erste illusorische Landverteilungsaktion<br />

stattgefunden hatte, gingen die Kolchosniks aller Genossenschaften nicht mehr<br />

zur Arbeit, suchten sie doch Tag für Tag den Horizont ab in Erwartung der<br />

Landverteilungskommission. Dabei war es Frühjahr und alle spezifischen<br />

Feldarbeiten standen an, aber keiner rührte auch nur einen St<strong>ro</strong>hhalm an, alles<br />

erstarrte in mystischer Erwartung, gerade so, als erwarteten sie alle die zweite<br />

Ankunft des Erlösers. Und dieses grundmystische Phänomen d<strong>ro</strong>hte dazu, auch<br />

noch andere benachbarte Regionen zu erfassen.<br />

Und um die Kolchosniks aus dieser parusiehaften Erwartung der<br />

„Kommission“ loszueisen und zurück zur Arbeit zu bringen, musste der NKWD

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