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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 364<br />

97. Der P<strong>ro</strong>zess der Achmatowa sowie anderer sowjetischer<br />

Schriftsteller<br />

Desgleichen zu den aufregenden Neuigkeiten, die wir aus der<br />

sowjetischen Presse jener Zeiten erfuhren, gehört auch der so genannte P<strong>ro</strong>zess<br />

der abweichlerischen Schriftsteller, angefangen mit der Dichterin Achmatowa 154 ,<br />

diese g<strong>ro</strong>ße Frau der russischen Poesie. Der Staatsanwalt, der die bürgerlichkosmopolitischen<br />

Zersetzungstendenzen, welche sich in die gesunde<br />

sowjetische Literatur eingeschlichen hatten, entlarvte, war der g<strong>ro</strong>ße Zensor und<br />

offizielle Kritiker Schdanow.<br />

Der Reihe nach mussten all diese „uninspirierten“ Traump<strong>ro</strong>duzenten<br />

einer vom Elend erdrückten und von Losungen verblödeten Welt beschämt durch<br />

kaudinische Joch der marxistisch-leninistischen Kritik durchgehen und wurden in<br />

heiligem p<strong>ro</strong>letarischem Zorn dafür ausgepeitscht, dass sie den g<strong>ro</strong>ßen Themen<br />

der wahren Kunst – die Besingung der g<strong>ro</strong>ßartigen Errungenschaften des<br />

siegreichen Kommunismus – ausgewichen waren und sich feige und<br />

verantwortungslos im Turm der nichtengagierten und intimistischen Kunst isoliert<br />

hatten. Von den Gegeißelten erinnere ich mich an einen (sein Name entgeht<br />

mir), der nichts Besseres zu tun gefunden hatte, als Ewgenij Onegin in die<br />

sowjetische Gegenwartsgesellschaft zu holen, den Helden Puschkins und später<br />

dann auch Tschaikowskis. Da wird also der hochmütige Dandy vom Anfang des<br />

19. Jahrhunderts – zu unserer Belustigung – allen Tücken der Bü<strong>ro</strong>kratie einer<br />

sowjetischen Gesellschaft (durch die Lorgnette eines Aristokraten betrachtet)<br />

ausgesetzt.<br />

Aber die umfassendste und giftigste der Kritiken richtete sich an die g<strong>ro</strong>ße<br />

Dichterin Achmatowa. Von allen Anschuldigungen, die man gegen sie<br />

vorbrachte, hat vor allem eine meine Aufmerksamkeit geweckt, weil sie doch so<br />

unerhört war, und zwar jene ihren Kater betreffend, den die Autorin in einem<br />

intimistischen Gedicht in souveräner Trägheit gegenüber den verspielten<br />

Flammen des heimischen Herds darstellt. „Wie ist es denn möglich“, fragte sich<br />

flammend empört der P<strong>ro</strong>letkult-Inquisitor, „dass jetzt, wo Dutzende Millionen von<br />

sowjetischen Bürgern ihre Anstrengungen verzehnfachen, um in unserem Land<br />

die Folgen des zerstörerischsten Krieges zu beseitigen, jemand nichts Besseres<br />

zu tun hat, als die Trägheit eines vor dem Ofen ausgestreckten Katers zu<br />

besingen?“<br />

(Viele Jahrzehnte später sollte ich in den heimischen Gefilden Mioritzas<br />

dieses inquisitorische Moment wieder erleben, dank der lokalen Schdanows.<br />

Diesmal war Arpagic 155 der Held, der Kater Ana Blandianas 156 , einer anderen<br />

154<br />

Ana Achmatowa (1889-1966), eine der g<strong>ro</strong>ßen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, erhielt zwischen<br />

1946-1950 Schreibverbot.<br />

155<br />

„Arpagic“ bedeutet „Schnittlauch“.<br />

156<br />

Ana Blandiana (*1942), Dichterin, Erzählerin und Bürgerrechtlerin, veröffentlichte 1988 ein<br />

Kinderbuch, darin der Kater Arpagic (in dem Gedicht „O vedet! de pe strada mea“/Ein Star in meiner<br />

Straße) als Anspielung auf Ceau#escu gesehen wurde, was ihr das Veröffentlichungsverbot einbrachte.

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