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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 500<br />

141. Die „Repatriierung“ der Gefangenen<br />

Mit unserem Weggang leerte sich das Gefangenenlager. Während der<br />

Körperdurchsuchung verließen es auch die zivilen Angestellten. Was mich<br />

betrifft, so hatte ich meine poetische Konterbande rechtzeitig meinen engsten<br />

Freunden anvertraut, um sie mit nach Hause nehmen zu können. Genau<br />

genommen hatte ich einen guten Teil meiner Gedichte ihrem Gedächtnis<br />

anvertraut. Den Rest hatte ich auf der eigenen Hirnrinde gespeichert. Damals<br />

konnte ich nicht ahnen, dass ich auf diese Weise höchstpersönlich aus freien<br />

Stücken und ohne jeden Zwang dem Staatsanwalt Stoff für seine Anklagerede<br />

geliefert hatte, die er mir neun Jahre später vor dem Militärtribunal in einem<br />

denkwürdigen P<strong>ro</strong>zess widmen sollte.<br />

Nachdem wir auf LKWs gestiegen waren und auf den Abfahrtbefehl<br />

warteten, warfen wir amüsierte Blicke zu dem ohne Sträflinge gebliebenen Lager.<br />

Hinter uns blieben die Wachtürme ohne die Balalaikas der Maschinenpistolen<br />

zurück, die Alleen ohne die Schritte, welche die Leere einer unnützen Zeit<br />

maßen, der Essraum ohne die Gerüche nach Ranzigem und Lauge, die auch<br />

heute noch die Erinnerungen an die letzten Jahre der Gefangenheit begleiten.<br />

Eine im winterlichen Wind hin- und herpendelnde Tür war das letzte Bild<br />

aus dem nunmehr den Geistern anheim gegebenen Lager, das wir vom<br />

davoneilenden Lastwagen noch wahrnahmen. Unter einem verkrampften<br />

Himmel, den der bläuliche Streifen des Pontus Euxinus säumte, brachten uns die<br />

LKWs in g<strong>ro</strong>ßer Eile zum Bahnhof.<br />

Dort sollten wir gegen Abend von einem der Rangiergleise Odessas in<br />

einen Güterzüg mit Viehwaggons für Gefangene verladen werden, an die wir uns<br />

entlang unserer zahlreichen Irrfahrten durch den sowjetischen Gulag hinreichend<br />

gewöhnt hatten. T<strong>ro</strong>tz der Versicherungen des Lagerpersonals (allerdings des<br />

zweitrangigen), war es nicht gewiss, dass wir am Abend heimwärts aufbrechen<br />

würden. Seit wir im Teufelsloch von Ziganow geleimt worden waren, der uns mit<br />

seiner Lüge von der Repatriierung ohne Bewachung, frei wie die Vögel der Lüfte<br />

und euphorisch dazu von einem Lager ins andere transportiert hatte, waren wir<br />

recht zurückhaltend geworden gegenüber jeglichem Heimkehrversprechen.<br />

Als der Zug aber dann vorfuhr und wir mit unseren elenden Habseligkeiten<br />

die Viehwaggons stürmten, erfuhr unser eigensinniger Pessimismus einige<br />

Schocks. Es gab nicht mehr dreistöckige Pritschen wie bei den erstickenden<br />

bisherigen Transporten, sondern nur noch Doppelstockpritschen, und neben dem<br />

Abortloch stand auch ein kleiner Eisenofen mit einem guten Armvoll Brennholz<br />

davor. All dies sprach dafür, dass eine komfortable Reise folgen würde, und die<br />

konnte nur in die Heimat führen. Ja, warum sollte es denn auch schließlich und<br />

endlich nicht stimmen?<br />

Die kommunistische Macht saß zu jenem Zeitpunkt bereits so fest im<br />

Sattel, den sie dem gesamten Volk aufgebürdet hatte, dass sie vor uns keine<br />

Angst mehr zu haben brauchte. Aus dem, was wir aus den Zeilen und zwischen<br />

den Zeilen der Iswestija hatten herauslesen können, funktionierte zu Hause nun

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