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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 397<br />

Gesprächspartner. Angesichts eines solchen Arguments war ich nun tatsächlich<br />

sprachlos. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich ein perfekt amoralisches<br />

Individuum vor mir hatte, das zwischen Gut und Böse nicht unterscheiden und<br />

das abscheulichste Verbrechen in heiterster Unschuld begehen kann… Der reine<br />

und unschuldige Kriminelle.<br />

Es war aber nicht viel Zeit seit der Begegnung mit der sowjetischen<br />

Jugendkriminalität vergangen, als in unserem Saal ein NKWD-Mann mit einer<br />

Aktenmappe unter dem Arm erschien und sich an die Gruppe von Jünglingen<br />

wandte, in der sich auch mein Gesprächspartner befand.<br />

„Wer von euch möchte denn Pope werden?“, fragte er freundschaftlich in<br />

die junge Runde hinein, welche dieser Vorschlag erst einmal verdatterte. Was<br />

konnten denn diese Analphabeten anderes wissen von einem Popen, als das,<br />

was ihnen bis dahin von der P<strong>ro</strong>paganda eingetrichtert worden war: dass er ein<br />

schlechter Mensch war, der das Volk ausgebeutet und dafür die gerechte Strafe<br />

bekommen hatte. Und nun wurden sie, bitte schön, aufgefordert, Popen zu<br />

werden. Um sie aus ihrer Perplexität zu reißen, bot sich der NKWD-ler an, ihnen<br />

zu erklären, was ein Pope jetzt, aus Sicht der Partei, welche die Kirchen<br />

wiedereröffnet hat, ist. Nämlich ein Mann, der singt, viel Koliwa (Opferkuchen)<br />

isst und so viel verdient, dass er sich Wodka, Papi<strong>ro</strong>ssi und Hasaikas nach<br />

Herzenslust leisten kann. Diese Neudefinierung des Begriffs Pope weckte ein<br />

reges Interesse in den Reihen der kriminellen Jugendlichen, die auf der Stelle<br />

ihre priesterliche Berufung entdeckten und sich allesamt anboten, Popen zu<br />

werden. Der NKWD-Mann wählte schließlich, nachdem er die Akten<br />

durchgesehen hatte, drei von ihnen aus, darunter auch unseren lächelnden<br />

Muttermörder. Dann forderte er sie auf, ihr Gepäck zu nehmen und verschwand<br />

mit ihnen Richtung… Theologisches Seminar, um Popen aus ihnen zu machen“,<br />

beendete der Hauptmann seine Geschichte und ließ uns darüber nachdenken,<br />

was die arme und märtyrerische Russische Kirche mit solchen Schmuckstücken<br />

von Gottesdienern, die vom NKWD rekrutiert wurden, gleich jenen unheimlichen<br />

Erscheinungen im Messgewand in der verräucherten kleinen Kirche in Kasan,<br />

erwartete.

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