04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 435<br />

120. Michailowo<br />

Nach zwei Tagen die Wolga hinauf erreichten wir den Zielhafen. Es<br />

empfing uns eine strahlende und kalte Morgensonne, wie im Norden.<br />

Desgleichen wartete auf uns noch eine Kolonne von Deutschen, die unseren<br />

Platz an Bord einnehmen sollten, um in die entgegengesetzte Richtung zu<br />

reisen, vielleicht gar dahin, woher wir kamen. Während wir aneinander<br />

vorbeigingen, tauschten wir rapide Informationen aus. So erfuhr ich, dass<br />

Michailowo, das Lager, in das wir kamen, vom Essen und von der Unterbringung<br />

her kein schlechtes war. Es war jedoch ein „Filter“-Lager, eins der<br />

„Untersuchungen“, woher man – von Fall zu Fall – sei es vor verschiedene<br />

Tribunale gelangte, sei es gar nach Hause. Es war klar, dass die Sowjets uns<br />

eine Metamorphose aus Kriegsgefangenen in Kriegsverbrecher vorbereiteten,<br />

was ja leicht genug war, hatten sie doch von ihren „Verbündeten“ quasi das<br />

Einverständnis hierfür bekommen. Um zum Kriegsverbrecher zu werden, reichte<br />

es aus, wenn deine Einheit an Orten gewesen war, wo sich die so genannten<br />

Kriegsverbrechen gegen die „friedliche Zivilbevölkerung“ ereignet hatten, in<br />

Wirklichkeit Aktionen gegen die „Partisanen“, die einem in den Rücken fielen und<br />

die nun nicht mehr wie bisher als „Franktireurs“, also als außerhalb des<br />

Gesetzes, galten, sondern als bewaffnete Zivilbevölkerung mit einem<br />

Sonderstatus.<br />

Was mich betrifft, so war ich beruhigt. Meine Einheit hatte nie „Vorfälle“<br />

mit Partisanen gehabt. Aber konnte dies denn für „sie“ ein Hindernis sein, wenn<br />

sie mich unbedingt einlochen wollten? Jetzt, da sie den gesamten rumänischen<br />

Generalstab in ihren Händen hatten, konnten sie da nicht meinen „Transfer“ in<br />

eine Einheit bewirken, die solche „Vorfälle“ verzeichnet hatte? Und es war nicht<br />

nötig, vor ihre Simulacra von Militärtribunalen zu gelangen; es reichte, einem<br />

eine „Akte“ anzulegen und jahrelang in „Untersuchung“ zu halten,<br />

währenddessen man wer weiß wie viele Repatriierungszüge verpasste!<br />

Aber g<strong>ro</strong>ß ist die Macht Gottes! Mit Seiner Hilfe würden wir auch diesen<br />

ihren „Filter“ verstopfen. Die Pferde sterben nicht auf Wunsch der Hunde! 176 Los,<br />

weg mit all den Grübeleien, besser, man ergötzt seine Augen an den Wundern<br />

der Natur, die einen erwarteten!<br />

Denn sowie ich den Fuß ans Ufer setzte, offenbarte sich mir eine neue<br />

und interessante Waldlandschaft in spezifisch rauen nordischen Farben,<br />

insbesondere das Blau des Himmels, alles aber eingehüllt in eine frische und<br />

kühle Atmosphäre, was ja nach dem langen Brüten am Boden des Frachtraums<br />

begrüßenswert war.<br />

Auf dem schmalen, sich dahin schlängelnden Weg, auf dem wir in einer<br />

Indianerreihe gingen, trafen wir Einheimische, hoch gewachsene und<br />

g<strong>ro</strong>bknochige Kerle. Sie unterschieden sich von den bis dahin get<strong>ro</strong>ffenen<br />

mittelg<strong>ro</strong>ßen, gedrungenen oder gar fettleibige Russentypen, den so genannten<br />

176 Rumänisches Sprichwort: Nu mor caii când vor câinii.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!