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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 288<br />

76. DIE ISOLIERUNG UND DER HUNGERSTREIK<br />

Dieses Geflatter von P<strong>ro</strong>testschreiben, die sich letztlich in den Armen<br />

Muceas gestapelt hatten, weckte die Neugier der Gefangenen anderer<br />

Nationalitäten, die bei der Zählung dabei waren, Ungarn, Deutsche, vor allem<br />

aber auch Österreicher, deren Repatriierungstransport heimlich vorbereitet<br />

wurde.<br />

„Mensch, ihr Rumänen seid ganz verrückt 135 “, rief erstaunt, aber auch<br />

bewundernd mein österreichischer Freund Willi Storch aus, dem ich den Inhalt<br />

der Schreiben erläutert hatte. „Wie konntet ihr denn so etwas schreiben? Die<br />

bringen euch um. Hast du vergessen, was sie mit den polnischen Offizieren in<br />

Katyn gemacht haben? Wie dem auch sei, ihr verdient all meine Bewunderung.<br />

Nenne mir schnell zehn Namen von P<strong>ro</strong>testlern – mehr kann ich nicht auswendig<br />

lernen – und so Gott mir beisteht, nach Hause zu gelangen, gebe ich sie im<br />

Radio bekannt.“ Jener Morgen verstrich in aller Ruhe. Keine Bewegung beim<br />

Kommissariat, in Wirklichkeit aber hatten unsere P<strong>ro</strong>testschreiben die<br />

Führungsleute durch ihre Neuheit völlig verblüfft. Sie befanden sich vor einer<br />

landesweiten Premiere. Niemand hatte zu ihnen bislang in einer solch harten und<br />

eindringlichen Sprache gesp<strong>ro</strong>chen und niemand hatte ihnen so schwere<br />

Anschuldigungen ins Gesicht gesagt wie diese 70 rumänischen Offiziere.<br />

„Wer sind denn diese Herren, die wie die Staatsanwälte von Nürnberg<br />

auftreten, gerade so als seien wir und nicht sie die Besiegten? Na, schauen wir<br />

uns denn ihre Akten ein wenig an!“ Und so kam es, dass nach dem ersten<br />

Moment der Verblüffung in allen Bü<strong>ro</strong>s fieberhaft gearbeitet wurde. Man<br />

übersetzte die P<strong>ro</strong>testschreiben, las die Informationsnoten durch, blätterte die<br />

Akten durch und schließlich erstellte man eine Liste. Zu Mittag, als wir gerade<br />

gegessen hatten, tauchte Mucea, der Dienst habende Offizier, mit einer dicken<br />

Liste auf. Wer seinen Namen hörte, musste sein Gepäck nehmen, inklusive die<br />

Matratze und die Decke, und sich im Hof aufstellen. Selbstverständlich befand<br />

auch ich mich unter den Aufgerufenen, wir wurden in einer Kolonne aufgestellt<br />

und mit all unseren Habseligkeiten auf dem Rücken zum Gebäude II gebracht,<br />

unter den Klub (wo ich sowohl applaudiert, als auch verurteilt und rehabilitiert<br />

worden war), aus dem man unterdessen die Insassen weggebracht hatte –<br />

natürlich ausgenommen jene, die das Privileg hatten, auf der Liste zu stehen.<br />

Drinnen erwartete mich eine weitere Überraschung. Neben dem Wasserfass<br />

standen Abtritteimer. Also denn, wir waren eingesperrt, und als Bestätigung für<br />

meine Vermutung waren Hammerschläge an Tür und Fenstern zu hören, die mit<br />

Brettern zugenagelt wurden, wie für Pestkranke. Bald schon sollte das Dunkel,<br />

obwohl es früher Nachmittag war, den Raum füllen. Bloß ein paar Ritzen in den<br />

übereinander genagelten Brettern ließen dünne Lichtstreifen aus der jenseitigen<br />

Welt durch, die hiermit gegenüber der diesseitigen zu einer Zone „relativer<br />

Freiheit“ geworden war. Ich legte meine Sachen auf einem Bett zurecht und<br />

135 Deutsch im Original.

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