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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 278<br />

noch, vor allem, ihn in die Knie zu zwingen, um dadurch uns allen, die wir<br />

versucht gewesen wären, von ihm die Stafette zu übernehmen, eine Lektion zu<br />

erteilen. Darin bestand der g<strong>ro</strong>ße Sieg Ciuteas. Er zeigte uns: Egal, wie mächtig,<br />

wie unbesiegbar, wie unbeugsam sie denn auch sind, es ist t<strong>ro</strong>tzdem möglich…<br />

Es ist t<strong>ro</strong>tzdem möglich, sie zu besiegen und sie dazu zu zwingen, dich als<br />

Menschen zu respektieren, nämlich wenn du entschlossen bist, den Weg bis zu<br />

Ende zu gehen, auch wenn dies dich das Leben kosten kann.<br />

Es ist t<strong>ro</strong>tzdem möglich! Das war es, was Ciutea uns, die vielen und<br />

ängstigen, gelehrt hatte, uns, die wir uns resigniert vor die Schlitten spannen<br />

ließen, weil wir nicht wussten, dass es t<strong>ro</strong>tzdem möglich ist, mit der Macht auch<br />

anders denn als Untergebene zu verhandeln.<br />

Dort oben, auf unserer Pritsche, begann er, nachdem er erst ruhig alles<br />

aufgegessen hatte, was wir ihm aufgetischt hatten, uns den Ablauf all dieser<br />

zehn Hungerstreiktage nackten Leibes und bei minus 10 Grad zu erzählen.<br />

„Ich habe bis zum Äußersten gekämpft, um euch nicht zu enttäuschen. Ich<br />

wusste, dass ihr meinen Kampf klopfenden Herzens verfolgen werdet. Ich<br />

wusste, dass, hätte ich kapituliert oder wäre ich gestorben, der Schrecken in die<br />

Jungs gefahren wäre, unsere Sache im Eimer und der Hungerstreik als Waffe<br />

komp<strong>ro</strong>mittiert gewesen wäre. Deswegen hielt ich mich stets fest in der Hand,<br />

mit aufrechtem Herzen, um nicht ins Wanken zu geraten, um nicht schlapp zu<br />

machen, sondern zu leben…, zu siegen – damit durch meinen Kampf auch ihr<br />

Mut fasst… Und es ist mir gelungen! Gelobt sei der Name des Herrn!“<br />

Dann umarmte er uns alle und bat uns, angesichts der alsbaldigen<br />

Trennung, ihn in unser Denken und Beten einzubeziehen. Alle hatten wir Tränen<br />

in den Augen.<br />

So endete diese unsere letzte, so unerträglich emotionsgeladene<br />

Begegnung.<br />

Ciutea, unser Nationalmeister des Leidens, der einsame Kämpfer, der für uns<br />

und unsere Befreiung aus dem Geschirr der Schande ritterlich hinab in die Arena<br />

stieg, um im Alleingang die Bestie zu stellen. Ciutea bleibt eine der reinsten und<br />

leuchtendsten Figuren unserer Gefangenschaft.<br />

Für die Hungerstreiks, die in jenem Jahr und in den folgenden stattfinden<br />

sollten, stärkte uns seine Leistung mit der Kraft des Exempels.<br />

Für mich jedoch hatte der Fall Ciutea auch Auswirkungen auf meine<br />

Weltanschauung 132 , genauer auf meine anth<strong>ro</strong>pologische Auffassung.<br />

Die Möglichkeitsparameter des Menschen Hunger, Kälte, Erschöpfung<br />

und andere schädliche Faktoren – unter normalen Bedingungen – auszuhalten,<br />

wurden vom Fall Ciutea über den Haufen geworfen: Das menschliche Wesen<br />

enthüllt nur in Grenzsituationen seine wahre Natur sowie die Spannbreite der<br />

ureigenen, aber latenten Möglichkeiten, die eindeutig größer ist als in<br />

gewöhnlichen Lebenssituationen. Der Mensch offenbarte sich mir damals als ein<br />

unbekanntes Wesen (A. Carrel), das in Grenzsituationen, so es sich durch<br />

Konzentration an seinen „höchsten Wert“ anschließt, fähig ist, Dinge zu leisten,<br />

die an ein Wunder grenzen.<br />

132 Deutsch im Original.

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