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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 409<br />

109. Die Nacht der Schakale<br />

Nach dem Streikende nahm unser Lagerleben seinen normalen Gang<br />

wieder auf (falls denn etwas als „normal” bezeichnet werden kann, was mit der<br />

Existenz in einem KZ-Regime zu tun hat).<br />

In unserer neuen Baracke erwartete uns vom ersten Augenblick an eine<br />

unangenehme Überraschung. Nachdem wir weggebracht und rapide auch die<br />

anderen, nichtstreikenden Kameraden evakuiert worden waren, blieben in der<br />

alten Baracke nur noch unsere Habseligkeiten (man hatte uns ja gesagt, nur das<br />

Notwendigste mitzunehmen) zurück. Nachts drang eine Bande von Polen in die<br />

unbewachte Baracke und stahl uns das Wenige weg, das uns nach so vielen<br />

Durchsuchungen und Transporten noch übrig geblieben war. Mir etwa fehlte<br />

nichts, denn ich besaß nichts über das strikt Notwendige hinaus. Dies<br />

verhinderte aber nicht mein Gefühl der Bitterkeit angesichts des<br />

Abstumpfungsgrades der Täter, die ja Gefangene wie auch wir waren und in<br />

unserem Wechsel in die Keller des NKWD nichts als eine Raubgelegenheit<br />

gesehen hatten, ohne sich auch nur einen Augenblick zu fragen, ob denn unsere<br />

Sache, für die wir einen verzweifelten Hungerstreik auf uns nahmen, also die<br />

Repatriierung, nicht etwa auch ihre ist.<br />

Allerdings konnten wir einmal mehr sehen, dass auf jedem Schlachtfeld<br />

nach der Schlacht zwischen den Toten und Verwundeten auch die Schakale<br />

auftauchen müssen, diese „Taverniers“ 172 , die im Schutze der Nacht sowohl die<br />

Lebenden, als auch die Toten ausrauben. Wir resignierten.<br />

Wer waren diese Polen, die uns beraubt hatten? Nach einiger Zeit, in der<br />

wir immer wieder Kontakt zu den eu<strong>ro</strong>-asiatischen Ethnien des Lagers hatten,<br />

kamen wir auch mit der Gruppe der Polen in Berührung. Die sich eigentlich in<br />

zwei gut getrennte Kategorien aufteilte. Die erste bestand aus Militärs,<br />

Unte<strong>ro</strong>ffiziere und Soldaten, Überreste der nationalen Armee, jene, die aus den<br />

Nazilagern oder aus dem sowjetischen Katyn entkommen waren und mitsamt<br />

ihren Waffen flüchten konnten. Sie hatten bewaffneten Widerstand geleistet, erst<br />

gegen die deutschen Besatzer, dann auch gegen die sowjetischen, nachdem<br />

diese nach und nach ihr wahres Gesicht zeigten. Diese Polen, von denen ich<br />

einige kennen lernte, waren fast durchwegs Männer von Format, erfahrene<br />

Kämpfer, mit Ehrgefühl und aller Achtung würdig. Die zweite Kategorie bestand<br />

aus p<strong>ro</strong>-sowjetischen Partisanen, die über das NKWD-Netz rekrutiert, kont<strong>ro</strong>lliert<br />

und logistisch unterstützt worden waren, aber erst, nachdem die Offensive der<br />

Roten Armee auch das polnische Territorium erreicht hatte, Aktionen gegen die<br />

Deutschen starteten. Was aber mag die Sowjets bewogen haben, auch die<br />

Polen, die an ihrer Seite gekämpft hatten, an der Seite der Polen, die gegen sie<br />

gekämpft hatten, einzusperren?<br />

Aber wenn man derartige Fragen stellt, dann müsste man damit beginnen,<br />

sich zu fragen, warum sie die spanischen Kämpfer aus dem bekannten<br />

172 In Anlehnung an die Person Tavernier aus Victor Hugos Roman Die Elenden.

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