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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 105<br />

blieb in der Fischfrage stumm wie ein Fisch vor dem Offizier vom Dienst. Auf<br />

unsere Verwunderung diesbezüglich antwortete er zweideutig, was uns davon<br />

überzeugte, dass wir von ihm nichts zu erwarten und uns alleine zurechtzufinden<br />

hatten, wenn es darauf ankam.<br />

Nach der Zählung tauchten in unserem Schlafsaal die Friseure auf, die<br />

Scheren, Rasiermesser und Pinsel mit einer solchen Geschicklichkeit und<br />

Geschwindigkeit schwangen, dass wir uns auch mitreißen ließen von dieser<br />

Aktion der Neuzivilisierung unserer von furchtbaren Bärten und zotteligen<br />

Mähnen überwucherten Gesichter. Der Riesenhaufen weggestutzten<br />

Kopfschmucks, der an der Saaltür wuchs, zeigte die Ausmaße der Bemühungen<br />

des Friseurteams, das sich selber „Figa<strong>ro</strong>“ nannte, unseren Antlitzen ihr<br />

ursprüngliches Aussehen wiederzugeben. Komisch, gerade mit den alten<br />

Gesichtern erkannten wir einander kaum wieder, so sehr hatten all die schweren<br />

Erfahrungen, die wir durchgemacht hatten, unsere somatischen Züge modifiziert<br />

und, wie ich mir pessimistisch vorstellte, sogar die psychischen und moralischen,<br />

die den ersteren entsprachen.<br />

Die Begegnung mit den Friseuren war äußerst bedeutsam. Alle waren sie<br />

alte Gefangene, die also während unserer Offensiven von 1941 in<br />

Gefangenschaft gefallen waren; es waren Einzelfälle, die zufällig gefangen<br />

wurden. Es muss schrecklich gewesen sein für sie, gerade bei vollem Rückzug<br />

der Sowjets in Gefangenschaft zu geraten. Angeschossen, als die Sowjets sie in<br />

dem Durcheinander nicht mehr evakuieren konnten, wurden sie mit asiatischer<br />

Raffinesse verhört und gefoltert, um ihnen Informationen über die rumänischen<br />

Stellungen zu entreißen. Sie wurden eingekerkert in die furchtbaren Zellen der<br />

NKVD-Gefängnisse (wie etwa im Moskauer Lubjanka) oder in ihrer<br />

Sommerkleidung (in der sie in Gefangenschaft gerieten) in die Wüsten<br />

Zentralasiens (ins unheimliche Karaganda) transportiert, wo man im Sommer<br />

tagsüber einen Sonnenstich bekam und nachts vor Kälte erf<strong>ro</strong>r, alles mit einem<br />

irrsinnigen Aushungerungsregime garniert (sie waren f<strong>ro</strong>h, wenn es ihnen<br />

gelang, eine Ratte zu fangen, um sie zu braten!). Einige von ihnen waren wohl<br />

unter dem Zwang der Umstände, eher aber noch durch ein teuflisches Kalkül und<br />

konzertierte Druckausübung auf jenes Niveau physiologischen Elends und<br />

moralischen Tiefstands gebracht worden, auf dem keinerlei Widerstand mehr<br />

möglich war gegen den finalen Ansturm der bolschewistischen Macht auf die<br />

letzte Redoute des Selbst, die Seele. Fast allen erschien das totale Überlaufen<br />

auf die Seite des Feindes – kurzum: der Verrat – als die einzige Möglichkeit zu<br />

überleben. T<strong>ro</strong>tzdem aber hat die Mehrheit der Altgefangenen das Angebot<br />

ausgeschlagen. Die einen taten es aus politisch-strategischem Kalkül:<br />

Angesichts der fulminanten deutschen Erfolge im Sommer 1941 war es schwer<br />

vorstellbar, dass die Sowjets wohl noch imstande sein würden, den Krieg zu<br />

gewinnen, und in diesem Fall bedeutete der „Verrat“ das Kriegsgericht und das<br />

Hinrichtungskommando. Andere verweigerten die Kollaboration, sei es aus<br />

einem Ehrgefühl, sei es aus dem Verteidigungsinstinkt jenes Zentrums<br />

ontologischer Identität heraus, das man auch noch Seele nennt. Die mit dem<br />

politisch-strategischen Kalkül brachen als erste ein, in dem Maße, in dem das<br />

Waffenlos spektakuläre Umstürze zugunsten des Feindes erfahren sollte. Die<br />

anderen leisteten erfolgreicher Widerstand. Freilich aber gab es auch in ihren

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