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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 143<br />

Deswegen auch hatte ich, als ich im Kleinen Kloster der zahlenmäßig<br />

g<strong>ro</strong>ßen Gruppe von italienischen Offizieren begegnete, das Gefühl, alte<br />

Bekannte wiederzufinden. Fast alle sprachen sie Französisch, und ich einer<br />

konnte auch ein bisschen Italienisch, so dass wir einander glänzend verstanden.<br />

Einige von ihnen kamen aus Städten, durch die ich auf meiner Reise gekommen<br />

war, also fiel es leicht, ein Gespräch zu führen, das stets lebhaft und durchaus<br />

interessant war. Im Allgemeinen besaßen die italienischen Offiziere eine gute<br />

humanistische Bildung, auch dann, wenn sie technische Berufe hatten, bloß war<br />

diese fast ausschließlich aufs Italienische beschränkt. Das bedeutet natürlich<br />

ziemlich viel, wenn man die Vielseitigkeit, Originalität und den erdrückende<br />

Reichtum dieser Kultur bedenkt, die ihnen nicht mehr viel Zeit übrig ließ, auch<br />

andere Kulturen gründlich zu studieren.<br />

Dies zum Unterschied zu uns Rumänen, die wir vor noch nicht so langer<br />

Zeit zur abendländischen Kultur dazugekommen sind und beständig die<br />

Notwendigkeit verspüren, eine Synch<strong>ro</strong>nisierung mit den Tendenzen und<br />

Strömungen der g<strong>ro</strong>ßen Kulturen – in erster Linie mit der französischen und der<br />

deutschen, dann auch mit der englischen – zu erreichen. (Nicht übersehen<br />

werden darf dabei, dass ein Teil von uns – und zwar die Bessarabier – der<br />

russischen Kultur zugeneigt ist.) Es ist dieser unseren Offenheit allen Kulturen<br />

gegenüber – ganz zu schweigen von der Leichtigkeit, mit der wir Fremdsprachen<br />

erlernen – zu verdanken, dass wir Offiziere während der Gefangenschaft für alle<br />

im Lager vertretenen Nationen begehrte Gesprächspartner waren. Diese guten<br />

Beziehungen haben uns enorm geholfen bei unseren Widerstandsaktionen, in<br />

unserer Konf<strong>ro</strong>ntation mit der lokalen Macht. Aber zurück zu den italienischen<br />

Offizieren: Sie zeigten sich äußerst interessiert an jedem Gedankenaustausch.<br />

Insbesondere mit Ernesto Iolly, ein Philosophielehrer und Dichter, der sehr<br />

gelehrt und vor allem in der italienischen Lyrik sehr bewandert war – allein aus<br />

Dantes Inferno konnte er eine Reihe von Liedern auswendig – schloss ich eine<br />

enge Freundschaft. Er war interessiert daran, auch andere dichterische Gefilde<br />

als die italienischen kennen zu lernen.<br />

Ich beschloss damals, unseren Ideenaustausch mit dem französischen<br />

Symbolismus zu beginnen, hatte ich doch unlängst einiges von Paul Verlaine<br />

(auf den diese Strömung sich ja beruft) übersetzt und veröffentlicht und hatte<br />

t<strong>ro</strong>tz der verwüstenden Wirkung der Mangelernährung noch einige seiner<br />

Gedichte im Gedächtnis. Das Kolloquium wurde nicht nur von den Italienern,<br />

sondern auch von unseren Jungs verfolgt. Was Iolly betrifft, so gefielen ihm die<br />

Beispiele aus Verlaine, aber die Kommentare zu dessen „Ars poetica“ stimmten<br />

ihn recht nachdenklich. Die Idee, dass die Bedeutung der Poesie nicht darin liegt,<br />

was sie denn aussagt, sondern was sie suggeriert, dass nicht die Farbe, sondern<br />

die Nuance den Vorrang hat, dass der wahre Vers ein Wille des Zufalls und das<br />

letzte Ziel der Poesie nicht ihr ideeller Inhalt, sondern die Musikalität ist – all<br />

dieses erschütterte, wie es scheint, die Grundfesten seiner eigenen<br />

Poesieauffassung, die zweifellos eine klassische und ideelle war, wie es sich für<br />

einen Humanisten wie ihn gehörte.

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