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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 266<br />

69. WINTERGESCHICHTEN AUS M=N\ST=RKA<br />

Die Verhärtung des Winters und der exzessive Schneefall hatten zur<br />

Einschränkung des Arbeitseinsatzes vieler Brigaden geführt – ausgenommen die<br />

„Elfenbein“-Schlepper. Aber auch für sie gab es Tage, an denen der<br />

Schneesturm derart wütete, dass sogar die Gardesoldaten vor der Arbeit im<br />

Freien zurückschreckten.<br />

Dann p<strong>ro</strong>fitierten wir von den Pausen, die uns die Natur schenkte, um uns<br />

auszuruhen, zu lesen, zu schwatzen oder einander Geschichten zu erzählen.<br />

Eine gute Verkaufsmeile für diese ungreifbaren und belebenden Güter,<br />

wie es Geschichten nun mal sind, befand sich im hinteren Teil der Baracke, wo<br />

auch ich meinen Pritschenplatz (oben) hatte. Es war ein geschützter und etwas<br />

intimerer Ort, wo sich die Erzähler und ihre Zuhörer gewöhnlich versammelten.<br />

Einer dieser Erzähler war Mitic\ Grama, aktiver Artillerieunterleutnant. Seine<br />

Geschichten waren interessant, weil sie aus der Welt der Dörfer und Kolchosen<br />

rings um Oranki kamen, die er im vergangenen Sommer Schritt für Schritt als<br />

Mäher kennen gelernt hatte. Da er ein guter Kenner der russischen Sprache war<br />

und sich gleich seinen Kumpanen (allesamt Soldaten) seitens der Wachsoldaten<br />

einer entspannten Behandlung erfreute, hatten doch auch diese sich an die<br />

Gefangenen gewöhnt, gelang es ihm, direkten Kontakt mit jener Welt der<br />

Kolchosniks zu haben, mit dem Fußvolk des Landes, das auf die unterste Stufe<br />

des Elend hinabgedrückt worden war und sein Leben unter den irrsinnigsten<br />

Bedingungen fristete.<br />

„Eine dieser Anomalien“, begann Grama eines Nachmittags – es war an<br />

einem Samstag, den uns ein willkommener Schneesturm zum freien Tag<br />

gemacht hatte – eine seiner köstlichen Geschichten, „eine dieser Anomalien –<br />

eine Folge des Krieges, vor allem aber eine Folge der massiven Truppenpräsenz<br />

in den besetzten Ländern – ist die Tatsache, dass das zahlenmäßige Verhältnis<br />

zwischen den Geschlechtern in dieser gequälten Dorfwelt stark auseinander<br />

geht.<br />

Bei hundert Einwohnern sind 80 davon Frauen und 20 Männer, die sich<br />

ihrerseits wie folgt aufteilen: Alte, Invaliden und Kinder. Kein Mann im besten<br />

Sinne des Wortes. Da ist es zu verstehen, welch schweren physiologischen<br />

Umständen die armen Frauen ausgesetzt sind.<br />

Deswegen führte das Auftauchen einer Mannschaft von kräftigen,<br />

wohlgenährten Gefangenen (die Mäher wurden stets gut versorgt) zu wahren<br />

Erregungsstürmen bei den überlange abstinenten Frauen, vor allem dann, wenn<br />

die Mäher aus arbeitsorganisatorischen Gründen nicht mehr ins Lager<br />

zurückkehrten, sondern mit den Einheimischen bunt durcheinander auf der<br />

Kolchose übernachteten. Da die Wachsoldaten für eine Flasche Wodka, welche<br />

die Frauen t<strong>ro</strong>tz ihrer Armut ihnen zusteckten, gerne ein Auge zudrückten,<br />

erfüllten jene Sommernächte, jene heißen Nächte um den Johannistag herum<br />

wieder die Urfunktion eines Fruchtbarkeitsrituals und kompensierten die wegen

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