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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 68<br />

unheimliche Erscheinung des riesigen Schlussmannes so unabwendbar, wie<br />

Schicksal und Tod selber, über die Kolonne und ihr Leben wachte. All diese<br />

Wege tätigte ich raschen Schritts, erteilte voller Energie Befehle, veranlasste<br />

diese amorphe und undifferenzierte Menge, die vor Kälte von einem Bein auf das<br />

andere trat und vor Hunger heulte, eine sechsreihige Kolonne, eingeteilt nach<br />

Waffengattung und Einheiten, zu bilden. Unermüdlich wiederholte ich die Formel:<br />

„Bewahrt die Formation, denn ihr entsprechend bekommt ihr die<br />

Essensrationen.“ Allem F<strong>ro</strong>st zum T<strong>ro</strong>tz kam ich so sehr ins Schwitzen, dass ich<br />

meinen Mantel öffnen musste. Anstatt erschöpft – vor Müdigkeit und Hunger –<br />

zusammenzubrechen, fühlte ich wie meine Kräfte, im Gegenteil, nach jeder<br />

Anstrengung anwuchsen. Je mehr ich mich einsetzte, desto lebendiger wurde<br />

ich, gerade so als ob ich anderen Gesetzen unterworfen war als denen der<br />

physischen Welt. Ich fühlte weder die Kälte mehr, noch die Müdigkeit, nicht den<br />

Hunger und nicht die Verzweiflung. Ich hatte meiner vergessen. Für die Rettung<br />

anderer kämpfend, hatte ich auch mich selbst gerettet. Als die Aufgabe gelöst<br />

war und der Kommandant sich darauf vorbereitete, den Abmarsch zu befehlen,<br />

als wollte er unsere Organisierung auf die P<strong>ro</strong>be stellen, tauchte ein B<strong>ro</strong>tauto<br />

auf. Die Menge wurde sofort in hysterische Aufregung versetzt. Ich verdeckte mit<br />

den Händen meine Augen, um nicht mit anzusehen, wie die Kolonne, die ich mit<br />

g<strong>ro</strong>ßer Mühe wieder aufgestellt hatte, sich in eine amorphe und bewegte Masse<br />

zurückverwandelte. Eine Feuersalve erklang. Ich nahm entsetzt die Hände von<br />

den Augen: Die Salve war, zum Glück, in die Luft geschossen worden. Der<br />

Kommandant schrie auf Russisch:<br />

„Niemand tritt aus der F<strong>ro</strong>nt! Jede Reihe bekommt ein B<strong>ro</strong>t.“ Und so<br />

geschah es auch. Die sechs Mann, die eine Reihe bildeten, bekamen je eine Art<br />

braun-rötlichen Ziegelstein, der so, wie er aussah, aus Gerstenteig gebacken<br />

schien; flach, hart wie Stein und bitter im Geschmack. Zum ersten Mal kostete<br />

ich von diesem B<strong>ro</strong>t der Gefangenschaft, davon ich mich viele schwere Jahre<br />

lang ernähren sollte. Egal wie unzureichend die Ration auch war (ca. 250 gr.),<br />

ihre in Ordnung erfolgte Aufteilung an eine so sehr vom Hunger verrückt<br />

gemachte Menge stellte immerhin einen Erfolg dar, denn sie bewies, dass die<br />

Übernahme der Ration auch ohne Gedränge, Prügeleien, Verwüstungen,<br />

Gewehrschüssen und blutigen Leichen erfolgen konnte.<br />

Ein weiterer Erfolg kam damals, als der Kommandant einverstanden war<br />

damit, dass das B<strong>ro</strong>tauto auf dem Rückweg 15-20 Verwundete und Erschöpfte<br />

mitnahm, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten und in den<br />

nächsten Marschstunden unweigerlich vor den Gewehrlauf des Schlussmannes<br />

geraten wären. Ich wollte auch den in den Mund Angeschossenen, unser<br />

Maskottchen, mitschicken, aber dieser bat mich, in seiner Gurgel- und<br />

Zeichensprache, ihn nicht von meinen Jungs zu trennen.<br />

„Hör zu“, fragte ich meinen Usbeken, als er mich die Kolonne entlang<br />

begleitete, „warum wolltest du mich an jenem Abend aus der Kolonne ziehen?<br />

Wolltest du mich erschießen, weil ich Offizier bin?“<br />

„Ach wo, keineswegs! Ich wollte mit dir einen Schuhtausch machen. Aber<br />

jetzt interessieren mich deine Schuhwracks nicht mehr. Schau nur, was ich<br />

anhabe“, und er hob seinen langen Mantel etwas an und zeigte mir seine

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