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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 349<br />

begannen die Balkenwände der Erdhütte zu erzittern. Die schmetternde<br />

Bassstimme Coteas intonierte „Oh, welch wunderbare Kunde“ derart kraftvoll,<br />

dass er auch die Grundfesten der Hölle erschüttert hätte. Tatsächlich, wie<br />

wunderbar war doch die heutige Kunde gewesen! Es gesellten sich ihm der<br />

Reihe nach auch unsere Stimmen bei, erst gequält, schwach, rau, dann von<br />

Tränen aufgehellt, klar und kräftig, versammelt zu einer prachtvollen<br />

Lobpreisung, die auf Erden den Gesang der Engel aus den himmlischen Lüften<br />

begleitete. So sangen wir bis spät in die Nacht die Kollenden der Kindheit,<br />

Sternlieder, und auch die Gefangenenkollende wurde nicht vergessen, die<br />

Tumurug auf die Verse von Cioponea komponiert hatte, das erschütterndste<br />

Dokument unserer in Traurigkeit versunkenen Weihnachtsfeste, aber oft auch<br />

eines unserer Hartnäckigkeit, diese auch in Grenzsituationen wie diesen zu<br />

feiern. Spät erloschen die Gesänge, und die Müdigkeit eines so bewegten und<br />

angespannten Tages begann uns niederzustrecken. Aber nicht alle. Bei mir hatte<br />

sich die psychische Erschöpfung in nervliche Überreizung verwandelt, so dass<br />

ich, obwohl todmüde, t<strong>ro</strong>tzdem nicht schlafen konnte. Ebenso erging es neben<br />

mir, wie ich merkte, auch Vonica, der in der Glut der gleichen Schlaflosigkeit<br />

schmorte, und in unseren U-Boot-Schlafanzügen begannen wir eine bizarre<br />

Konversation.<br />

„Was hast du, Vonica? Schläfst du nicht?“<br />

„Ich kann kein Auge schließen. Ich habe Angst, zu sterben.“<br />

„Bis du verrückt? Warum solltest du denn sterben?“<br />

„Vor Glück, Radu… Vor Glück… Nach soviel Erniedrigungen und<br />

Niederlagen, der erste Sieg. Wie soll einer da nicht sterben vor soviel Glück?“<br />

So war es. Obschon isoliert in einem abwegigen Reich, auf Schritt und<br />

Tritt von den Mächten der Finsternis belauert, begraben unter polaren<br />

Schneemassen, getrennt von Heim, Mutter, Kindern, manche von uns von<br />

unseren Ehefrauen abgewiesen, die es satt hatten, so lange zu warten, hier im<br />

Teufelsloch, inmitten von Dunkel, Hunger, Kälte, Wanzen, Flöhen und Ratten,<br />

ohne jegliche Gewissheit für den morgigen Tag, waren wir glücklich.<br />

Ja, glücklich unter dem Licht des Sterns von Bethlehem, im warmen Atem<br />

des Ochsen und des Esels an der heiligen Krippe; glücklich in unserer<br />

Verbanntengruppe, in der wir, solidarisch miteinander bis zum Äußersten, als ein<br />

Ersatz für die Liebe von zu Hause, die uns genommen worden war, eine andere<br />

Liebe fanden, wie sie wohl bloß die ersten Christen in den Katakomben<br />

füreinander und alle miteinander empfunden haben werden. Und so kam es,<br />

dass ich in der Schlaflosigkeit dieser heiligen Nacht des ersten Sieges der mir<br />

aus dem Herzen überquellenden Freude folgenden Vierzeiler widmete:<br />

Uns nährte alles, was wir verschenkten.<br />

Unser Gut, alles, was wir verschwendet.<br />

Zu leiden und zu bluten, zögere nicht!<br />

Aus Niederlagen wächst das Siegeslicht.<br />

Am nächsten Tag – es war der erste Weihnachtstag – gingen wir gleich<br />

nach der Weckt<strong>ro</strong>mpete, aber noch bei völliger Dunkelheit, nach draußen, um<br />

uns mit Schnee zu waschen.

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