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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 209<br />

55. WEIHNACHTEN UND SILVESTER IN DER GEFANGENSCHAFT<br />

Es gab auch Schauspiele, welche den Weihnachts- und Neujahrsfesten<br />

gewidmet waren. Wer erinnert sich denn nicht an die Figur Mo[ Costaches 106 -<br />

gespielt von einem Lehrer aus der Gegend von Neam] 107 - Gastgeber mit<br />

offenem Haus und Herzen für die umherziehenden<br />

Weihnachtsabendliedersänger, für die Sternsänger, für den Weihnachtsmann, für<br />

die volkstümlichen Weihnachtsschauspieler mit He<strong>ro</strong>des und Bethlehem, für jene<br />

mit dem Pflüglein und dem Buhai zu Neujahr? All dies wurde von einem<br />

Orchester unter der Leitung von Meister Lambie Papadopol unterstützt, vor allem<br />

aber von einem tollen Chor mit guten Stimmen, tiefen Bässen, wie etwa jener<br />

Vasile Coteas, der über die tiefste Stimme verfügte, ein Chor, den Männer mit<br />

Musik im Blut leiteten wie etwa ULt. Dumitrescu oder Meister Sima, ein Chor, wie<br />

es nicht einmal zu Hause viele gab. All dies führte an den Heiligen Festen zu<br />

erhabenen und bewegenden Momenten, welche unsere Seelen mit der süßen<br />

Traurigkeit des Heimwehs füllten. Da uns aber die Jahre, obwohl wir ihre<br />

Erneuerung ausgiebig feierten, nicht die ersehnte Freiheit und auch sonst nichts<br />

Gutes brachten, waren diese von so viel Rührung geladenen Momente<br />

zunehmend schwerer zu ertragen. Sie waren zu Vorladungsterminen zum<br />

Gericht genannt Schicksal und Gelegenheit zu deprimierender Hinterfragung<br />

geworden: „Wie viele Weihnachtsmänner werden wir denn noch feiern und wie<br />

viele neue Jahre werden wir denn noch in dieser fremden Öde besingen?“<br />

Insbesondere gegenüber dem Weihnachtsmann hatten einige von uns eine<br />

Allergie entwickelt, denn er war der Quälgeist, der uns leere Versprechungen<br />

machte, dass wir „im nächsten Jahr zu Hause sein werden“ Jemand hatte auf ihn<br />

sogar ein Epigramm gemünzt:<br />

„Weihnachtsmann, so du dich nächstes Jahr<br />

Erneut hier zeigen solltest,<br />

Schneide ich dir Bart ab und Geschlecht<br />

Und reiche sie den Russen dar.“<br />

Zu Weihnachten 1949, in Odessa, als wir ins siebte Jahr der<br />

Gefangenschaft eintraten und die g<strong>ro</strong>ße Mehrheit der Gefangenen bereits ein<br />

Jahr vorher repatriiert worden war, kam es aus Schicksalsverdruss zu einer<br />

seltsamen Reaktion unserer Jungs. „Sollen wir denn jedes Jahr diese<br />

konventionelle Freude vorzeigen und einander Unverwirklichbares und<br />

Verlogenes wünschen?... Wir haben auch den Weihnachtsmann mit seinen<br />

abgestandenen Witzen satt und auch das Lied Oh, welch wunderbare Kunde,<br />

welches uns doch niemals nichts mehr über unser wahres Schicksal verkündet.<br />

106 „Mo#” (lies: Mosch) bedeutet alter Mann, Opa.<br />

107 Kreis in der rumänischen Moldau am Fuße der Ostkarpaten mit der Hauptstadt Piatra Neam".

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