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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 182<br />

47. DIE TROCKENKAMMER<br />

Was mich betrifft, so wurde ich nach dieser Neuorganisierung, zusammen<br />

mit zwei anderen Jungs, der Filzstiefelt<strong>ro</strong>ckenkammer (Susilka) zugeteilt, wo ich<br />

nun, ob ich wollte oder nicht, vorstellig werden musste. Es war eine<br />

saisonbedingte Arbeit, eine Winter- und Nachtarbeit. In einem Raum voller<br />

Kleiderrechen, an denen die nassen Filzstiefel hingen, mussten wir Feuer<br />

machen und dieses zu dritt und abwechselnd die ganze Nacht über in Gang<br />

halten. Die Arbeit war nicht schwer, die Hitze aber erdrückend und die mit<br />

Parfüm Mille pieds gesättigte Atmosphäre total stickig. Schließlich öffneten wir<br />

ein Fensterauge, und die Luft wurde etwas erträglicher. Auf mich, der ich vom<br />

Sternzeichen her (Steinbock) ein Saturnianer bin und für den nachts mein<br />

Biorhythmus seinen Höhepunkt erreicht, passte dieses P<strong>ro</strong>gramm wie<br />

angegossen. Zwischen zwei Holzscheiten, die ich ins Feuer schob, konnte ich<br />

träumen, im Spiel der Flammen, das mich von jeher fasziniert hat, meditieren (ich<br />

glaube, ich war ein gescheiterter Py<strong>ro</strong>mane), ich konnte beten, lesen, vor allem<br />

aber konnte ich schreiben. Und ich verfasste lange Gedichte, die ich dann<br />

demselben Feuer gleich einem Vertrauten… anvertraute. Eines aber entwischte<br />

meinen py<strong>ro</strong>manischen Neigungen, es kam in Umlauf und schlug einige Wellen.<br />

In ihm ging es um Masken (dies war auch sein Titel), um expressive, g<strong>ro</strong>ßartige,<br />

allerdings unheilvolle Masken, die mit einem Fluch verbunden waren, denn<br />

einmal aufgesetzt, konnte man sie nicht mehr abnehmen. Die Maske wurde<br />

Fleisch vom Fleische des Trägers, sein neues Antlitz, welches er nie mehr<br />

ablegen konnte. (Aufgepasst all jene, die sich einbildeten, sie könnten momentan<br />

zurechtkommen, indem sie eine Maske aufsetzten!)<br />

Morgens, nachdem unsere Aufgabe als Garde<strong>ro</strong>biers zu Ende war und wir<br />

den Besitzern die t<strong>ro</strong>ckenen und semmelwarmen Filzstiefel übergaben, kehrten<br />

wir in den Schlafsaal zurück, wo wir, mit dem Frühstück im Wanst, bis mittags<br />

wie die Murmeltiere schliefen. Danach installierten wir uns erneut in der<br />

T<strong>ro</strong>ckenkammer, um das Brennholz vorzubereiten und verschiedene Freunde zu<br />

empfangen, mit denen wir im Dunst der Machorkas allerlei Gespräche führten, in<br />

erster Linie politischer, aber auch literarischer Natur.<br />

Unsere T<strong>ro</strong>ckenkammer verwandelte sich damit in ein Literaturcafé,<br />

freilich ohne Kaffee. In dieser unserer Susilka verbrachten wir angenehme<br />

Momente, vor allem in den Abendstunden, wenn drinnen eine die Knochen<br />

erweichende Wärme herrschte, während draußen Regen, Schnee und Wind den<br />

Ton angaben, dass es einem zuwider war, auch nur die Nase aus der Tür zu<br />

strecken. In diesen Momenten stiegen die Geschichten und Erinnerungen gleich<br />

einer Exorzisierung des Hässlichen auf. Und darin unschlagbar war der alte<br />

Marcu, Reserveleutnant, ein Lehrer aus der Gegend von R=mnicu-S\rat 86 und<br />

Altgefangener.<br />

86 Rumänische Kleinstadt östlich der Karpaten in Kreis Buz!u.

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