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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 166<br />

diesem letzten Gebrüll sank er in seinen Sessel, dass wir schon dachten, er<br />

habe einen Herzinfarkt bekommen. Da erhob sich auch Cambrea und schrie<br />

Hauptmann Popescu an, den er für den Tod von tausenden von Soldaten<br />

verantwortlich machte, dadurch dass er dem Divisionskommandanten geraten<br />

habe, noch einen Tag am Don standzuhalten, und dem er ernste D<strong>ro</strong>hungen<br />

entgegen warf. Die Atmosphäre war erdrückend geworden. Schrecken breitete<br />

sich in unseren Reihen aus. Ruhig erklärte Ana die Diskussionen für beendet<br />

und rief zur Abstimmung auf.<br />

„Was das Schicken des Antrags an Genossen Stalin betrifft“, sagte sie,<br />

„wer dagegen ist, soll die Hand heben!“<br />

Logisch und üblich wäre es gewesen, sie hätte erst gefragt: „Wer ist<br />

dafür?“. Dann wäre zu sehen gewesen, wie wenige Stimmen ihr Vorschlag<br />

bekommen hätte. Ana aber, schlau und gewieft in kommunistischen Sitzungen<br />

wählte die Variante: „Wer ist dagegen?“ Denn sie wusste, dass in dieser plötzlich<br />

und brutal ausgelösten Schreckensatmosphäre schwerlich jemand geneigt sein<br />

würde, dagegen zu sein.<br />

„Ist niemand dagegen?“, hakte sie mit Unschuldsmiene nach. Da war von<br />

rechts, von dort, woher der Hauptmann gesp<strong>ro</strong>chen hatte, eine auffordernde<br />

Stimme zu hören: „Hebt den Arm!“, und in jenem Augenblick spürte ich, wie mein<br />

Arm zuckte und gen Himmel ging. „Hebt den Arm!“, hörte man noch einige Male,<br />

„hebt den Arm!“, rief auch ich aus und andere neben mir ebenfalls. Aus den<br />

Augenwinkeln bemerkte ich, wie rechts und links von mir Arme hochgingen,<br />

wenn auch wenige. Die Mehrheit enthielt sich der Stimme (der Schrecken hatte<br />

seine Wirkung erzielt). Wartete darauf, dass auch die andere Frage gestellt<br />

wurde: „Wer ist dafür?“, auf dass, so erneut niemand den Arm hob, das Resultat<br />

null und nichtig sei. Ein falsches Kalkül, denn die zweite Frage wurde nicht mehr<br />

gestellt. Nachdem sie ohne jegliche Eile unsere erhobenen Arme zählte, sagte<br />

uns Ana: „22 Stimmen dagegen… Ihr seid in der Minderheit“. Dann fügte sie mit<br />

todernster und gespreizter Stimme hinzu: „Ausgenommen die 22 Gegenstimmen,<br />

haben alle Anwesenden für die Sendung der Botschaft gestimmt.“<br />

„Nein, nein, wir sind nicht dafür“, meldeten sich hitzig eine Menge Jungs,<br />

empört darüber, dass ihre Neutralität als ein Dafür interpretiert wurde und sie auf<br />

diese Weise zur Gründung der Division beitragen sollten. „Nein, wir sind nicht<br />

dafür“, wiederholten sie.<br />

„Warum habt ihr dann nicht den Arm gehoben, wenn ihr dagegen seid?“,<br />

fragte Ana sie.<br />

„Tja, wir sind auch nicht dagegen. Wir sind neutral.“<br />

„Das geht nicht!“, erwiderte Ana. „Wer nicht dagegen ist, ist bei uns dafür.“<br />

Und so spielen die Kommunisten denn, je nach den Umständen, mit der Dialektik<br />

und gehen mit Leichtigkeit vom evangelischen Wer nicht für uns ist, ist gegen<br />

uns zum desgleichen evangelischen Wer nicht gegen uns ist, ist für uns über.<br />

Die Sitzung wurde beendet; einige von den Bet<strong>ro</strong>genen, deren Neutralität<br />

von der Macht annektiert worden war, werden wohl gemerkt haben, dass mit den<br />

Kommunisten keine Neutralität möglich ist, und wer nicht für sie sein möchte,<br />

gezwungenermaßen gegen sie ist.<br />

Hauptmann Tudor-Popescu wurde sofort vom NKVD aus dem Schlafsaal<br />

geholt, vor unseren Blicken zum Tor geführt, woher ihn für lange Zeit das

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