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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 281<br />

73. DIE KORRESPONDENZ<br />

Weil die Rede auf dieses wichtige Kapitel des Lebens in der<br />

Gefangenschaft kam – die Korrespondenz, ein paar Worte auch dazu. Die<br />

Sowjets waren den internationalen Abkommen, welche den Gefangenen das<br />

Recht an die Familie zu schreiben und Antwort zu bekommen zusichert, auch<br />

beigetreten. Diese Korrespondenz wurde vom Internationalen Roten Kreuz (oder<br />

dem Roten Halbmond) zugesichert. Demnach hatte jeder Gefangene einmal p<strong>ro</strong><br />

Monat das Recht auf eine Postkarte an seine Familie, die er effektiv der<br />

Lagerwaltung überreichte. Dieses Recht hatte man uns bereits bei unserer<br />

Ankunft in Oranki eingeräumt.<br />

Wir schrieben also unsere Karten. Aber bekamen wir denn auch Antwort<br />

von unseren Lieben? Hier war der Haken. Die Sowjetmacht, so berechnend und<br />

kleinlich mit jedem uns zustehenden Recht, konnte sie es sich denn erlauben,<br />

eine solch dicke Erpressungsmöglichkeit nicht wahrzunehmen, wie es unser<br />

Recht auf Korrespondenz eine war? Denken wir nur an die moralische Stärkung,<br />

den ein Brief von zu Hause für einen Gefangenen bringen kann, den diese<br />

chaotische Öde des riesigen Reiches verschlingt. Die paar Zeilen von den<br />

Seinen entreißen ihn aus dem Raum und der Zeit einer Welt, in der er ein<br />

Verschollener ist und verknüpfen ihn mit seiner wahren Welt, gewinnen ihn<br />

wieder, machen, dass er von der gesamten Menschheit wahrgenommen wird.<br />

Jetzt weiß er mit Sicherheit, dass er nicht mehr versteckt oder als verschollen<br />

gemeldet werden kann. Wie könnte die Sowjetmacht es denn akzeptieren, ihre<br />

Gefangenen aus der Isolierung und Unsicherheit zu entlassen, wo doch gerade<br />

diese Zustände sie erst von ihr abhängig machten? Deswegen sollte sie zwar<br />

ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen und jedem das Recht<br />

einräumen, nach Hause zu schreiben, nicht ohne aber diese mit ihren kleinlichen<br />

Interessen der geistigen Versklavung zu verbinden, indem sie aus dem Recht,<br />

Antwortschreiben zu bekommen, ein Objekt der Erpressung machte und nur<br />

ihren Partisanen dieses Recht als ein Privileg einräumte. So kam es halt, dass<br />

wenige Gefangene Post von zu Hause erhielten. Es gab Zeitspannen, da war es<br />

sogar komp<strong>ro</strong>mittierend, Briefe zu bekommen. Man war in den Augen der g<strong>ro</strong>ßen<br />

Mehrheit, die keine Post bekam, suspekt. Viele Gefangene, entmutigt wie sie<br />

waren, schrieben gar nicht erst mehr, zweifelten sie doch daran, dass ihre Post<br />

auch wirklich ankam. Aber sie tat es, wie ich nach der Repatriierung überrascht<br />

feststellen konnte, als ich fast meine ganze Post aus der Gefangenschaft<br />

vorfand, die meine Mutter wie etwas Heiliges aufbewahrt hatte.<br />

Ich aber erhielt, wie auch die Mehrheit der Gefangenen, vier Jahre lang<br />

keinen einzigen Brief. Erst im Juni 1946, als aus unerklärlichen Gründen damit<br />

begonnen wurde, allen ihre Post zukommen zu lassen, bekam ich mein erstes<br />

Antwortschreiben von zu Hause.<br />

Es war von Mutter. Der Inhalt knüpfte durch Aussparung sehr gut an die<br />

beiden Zeichen an, die ich ein paar Monate vorher erhalten hatte – der Traum<br />

und der Verlust des Eheringes. Sie erzählte mir von allen mir Lieben (Tanten,

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