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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 510<br />

Land gekämpft und so viel gelitten habt? Warum nur musste diese Schande<br />

gerade auf mich fallen?“ antwortete ihm der Bursche.<br />

„Lass, nur, Kamerad! Das ist keine Schande, du tust ja deine Pflicht… So<br />

wie auch wir die unsere getan haben“, versuchte der Oberst ihn zu beruhigen.<br />

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Dieser Jüngling also beklagte voller Mitleid<br />

unser Schicksal. Endlich! Endlich auch das wahre Antlitz, mit dem uns unser<br />

wahres Vaterland empfing: ein von Tränen überströmtes Antlitz. Und denn auch<br />

die ersten wahren rumänischen Worte („Bewahren Sie sie auf, Herr Oberst!“):<br />

„Warum nur diese Schande?“<br />

Oh, lieb Kind, wo immer du jetzt auch sein magst, alt, weißhaarig, sei<br />

gesegnet für deine Träne von damals! Balsam war sie für unsere verletzten<br />

Herzen. Und wenn am Ende der Zeit beim Jüngsten Gericht die beiden<br />

Waagschalen sich das Gleichgewicht halten, mag der Engel auf die rechte davon<br />

die Träne legen, die du für uns, die Verfolgten, vergossen hast, und du wirst<br />

erlöst werden.<br />

Plötzlich brachte uns der Wind von der Stadt her lautes Geschmetter<br />

entgegen, es hörte sich wie Militärblasmusik an.<br />

„Was ist das denn?“, fragten wir uns alle.<br />

„Wie, was ist das?“, griff Alecu Tr\istaru ein. „Man hat ein<br />

Gefangenenempfangskomitee gebildet, dem Vertreter aus Regierung und<br />

Parlament angehören, um uns mit Blasmusik und Reden zu empfangen.“<br />

„Herr Oberst!“, wandte er sich an den Rangältesten (genau an den Mann,<br />

der vor unserem Aufbruch aus dem Teufelsloch dem schlauen Ziganow auf den<br />

Leim gegangen war, indem er eine p<strong>ro</strong>tokollarische Rede hielt, die wir danach<br />

arg kritisiert hatten). „Herr Oberst, wäre es nicht angebracht, einen «Speach!<br />

vorzubereiten, womit Sie denen da antworten, so wie es das P<strong>ro</strong>tokoll verlangt?“<br />

Der Oberst lächelte nachgiebig, kannte er doch die beißende Verve<br />

dessen, der ihn angesp<strong>ro</strong>chen hatte. Aber in dem Maße, in dem die Akkorde<br />

anschwollen, konnte man die melodische Linie eines Trauermarsches erkennen.<br />

Und tatsächlich war nach einer Wegbiegung ein Leichenzug in all seiner Pracht<br />

zu sehen. Voran ging bedächtig im von der T<strong>ro</strong>mmel vorgegebenen Gleichschritt<br />

die Militärkapelle mit sowjetischen Musikern. Dann folgte ein Militärlaster mit<br />

einem Sarg, den ein <strong>ro</strong>tes Tuch und Blumenkränze bedeckten. Weder Kreuz,<br />

noch Priester. Der Oberst und ich sahen fragend unseren jungen Begleitsoldaten<br />

an, der sich inzwischen beruhigt hatte und uns mit lächelnden Augen anblickte.<br />

„Es ist ein sowjetischer Offizier“, flüsterte er uns geheimnisvoll zu.<br />

„Vorgestern Nacht gab’s ein kleines Feuergefecht in den Bergen, und sie haben<br />

ihn umgelegt.“<br />

„Wer denn?“, fragten wir.<br />

„Wer? Die Widerständler aus den Bergen, die Banditen, wie unsere<br />

politischen Offiziere sie nennen. Dort gibt es Offiziere wie Sie aus der alten<br />

Armee… und Unte<strong>ro</strong>ffiziere, aber auch Zivilisten, Schüler, Studenten, Bauern.<br />

Die Berge gehören ihnen. Sie sind in Verbindung mit denen von jenseits der<br />

Grenze… Sie helfen einander.“

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