04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 67<br />

der Marschrhythmus verlangsamt werden musste, damit auch die Verwundeten<br />

und Erschöpften Schritt halten konnten und nicht vor die Kugel des<br />

Schlussmannes gelangten. Zu diesem Zweck mussten die ersten Reihen der<br />

Kolonne aus Offizieren gebildet werden, die mit untergehakten Armen zu<br />

marschieren hatten, um zu verhindern, dass Anstifter der Unordnung nach vorne<br />

kamen und die B<strong>ro</strong>tautos erneut verwüsteten. Gleichzeitig sollten sie der ganzen<br />

Kolonne einen auch für die Schwächeren akzeptablen Marschrhythmus<br />

aufprägen. Der Hauptmann war einverstanden mit meinen Vorschlägen, und ich<br />

bat ihn, mir jemanden aus seiner Garde zu geben, um mich zu begleiten und den<br />

von mir zu treffenden Maßnahmen Autorität zu verleihen – da ich Widerstand<br />

seitens der gemeinrechtlichen Verbrecherbande aus S\rata und ihrer<br />

Spießgesellen fürchtete.<br />

„Harascho!“ (Gut!), sagte der Kommandant und richtete seinen Blick auf<br />

seinen Generalstab, daraus ein Mann sich als Freiwilliger für diese Aufgabe zu<br />

empfehlen schien. Auf ein Kopfnicken Dwoeglasows hin löste sich der Freiwillige<br />

aus der Gruppe und kam auf mich zu. Ich erstarrte. Übers ganze Gesicht<br />

lachend, stellte sich vor mich mein Mann, der Usbeke, auf, der in der ersten<br />

Nacht nach meiner Hand gegriffen hatte – nach meiner Intellektuellenhand,<br />

Inteligenzija –, um mich aus der Kolonne zu zerren.<br />

„Ot kakoi hitra! (Sieh an, was für ein Schlauberger!) Du sagtest, du seiest<br />

kein Offizier. Gibst du zu, dass du gelogen hast?“, ließ er, mich zum Spaß, den<br />

Dolmetscher fragen.<br />

„Also, an die Arbeit jetzt!“, mischte sich Dwoeglasow ein. „Ich geh’ nicht<br />

weg, bis ich die Kolonne nicht organisiert sehe.“ Und damit beurlaubte er uns alle<br />

drei, nicht bevor er mir demonstrativ etliche Male die Hand schüttelte, damit auch<br />

ja alle – die sich anonym haltenden Offiziere eingeschlossen – sehen konnten,<br />

dass er mich nicht nur nicht erschossen, sondern mich mit Aufgaben und<br />

Verantwortung versorgt hatte.<br />

„Was hat dir der Russe denn gesagt?“, fragten mich sofort meine<br />

Regimentskameraden.<br />

„Er hat mir gesagt, dass er uns nicht aufgerufen hat, um uns zu<br />

erschießen, sondern um die Kolonne zu reorganisieren.“ Und ich berichtete<br />

ihnen das ganze Gespräch. Alle atmeten erleichtert auf und boten sich an, die<br />

ersten Reihen zu bilden, mit untergehakten Armen, wie eine Kette.<br />

„Wer diese Kette zu durchbrechen versuchen wird, wird auf der Stelle<br />

erschossen“, wiederholte unaufhörlich und lauthals mein Begleiter, der Usbeke.<br />

Das Faustrecht war abgeschafft worden, die gemeinrechtlichen Verbrecher und<br />

ihre Helfershelfer mussten klein beigeben, und mit etwas Bemühung um<br />

Ordnung konnte man hoffen, dass beim nächsten Transport jedem seine Ration<br />

zukommen würde, so klein diese auch sein sollte.<br />

Wir begannen die Reorganisierung am Anfang der Kolonne.<br />

Ununterb<strong>ro</strong>chen das wiederholend, was der Hauptmann gesagt hatte, brachte<br />

ich schließlich alle Offiziere, auch jene, die ich nicht kannte, dazu, ihre Angst zu<br />

überwinden und aus ihrer Anonymität herauszutreten, um an der Bildung jener<br />

ersten Reihen teilzunehmen, welche der Kolonne eine Kadenz vorzugeben<br />

hatten, die es auch den Schwächeren erlaubte, Schritt zu halten. An jenem Tag<br />

ging ich unzählige Male die Kolonne von vorne bis hinten ab, wo jene

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!