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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 389<br />

102. Morschansk<br />

Und so gerieten wir erneut in den trägen Zeitablauf einer Quarantäne. Die<br />

wievielte? Und wie viele warteten denn noch unser?<br />

Es fiel uns schwer, diese bittere Tatsache zu akzeptieren. Wir waren<br />

überlistet worden. Die Freiheit, derer wir uns auf der fabelhaften Reise erfreuten,<br />

war bloß eine wunderschöne Illusion gewesen, die letztlich hinter dem<br />

Stacheldraht unseres „täglichen“ Lagers strandete.<br />

Morschansk war tatsächlich ein sehr g<strong>ro</strong>ßes Lager in einer pittoresken<br />

Gegend (in einem Wald, den ein Bach durchquerte), mit etwas besseren<br />

Baracken und hie und da Blumenbeeten davor. Es herrschte größere Reinheit,<br />

Ordnung und sogar Korrektheit als in anderen Lagern, kurz, es war ein<br />

Repatriierungslager, eines des letzten Eindrucks – zur Kosmetisierung<br />

desselben, sozusagen. Bevölkert wurde es von sehr vielen Nationen, es gab da<br />

regelrecht einen transkontinentalen Nationalitätenbogen, von den eu<strong>ro</strong>päischen<br />

Völkern – Deutsche, Österreicher, Ungarn, Rumänen, mehrheitlich Soldaten,<br />

sowie Polen ( ehemalige antihitleristische Partisanen, also Verbündete – die aber<br />

t<strong>ro</strong>tzdem ins Lager gesteckt worden waren) – bis hin zu den asiatischen wie<br />

Japaner (in g<strong>ro</strong>ßer Zahl) und Koreaner. Es waren da nicht bloß Militärs, sondern<br />

auch Zivilisten, nicht bloß Männer, sondern auch Frauen (Deutsche und<br />

Polinnen), ja sogar Kinder gab es.<br />

Die Quarantäne war nicht besonders streng, wir konnten bloß die<br />

Umzäunung nicht verlassen. Aber niemand hinderte die Neugierigen, Rumänen<br />

oder anderer Nationen, sich unserem Stacheldrahtzaun zu nähern und<br />

Verbindung mit uns aufzunehmen. So erfuhren wir mit Freude, dass unter den<br />

wenigen rumänischen Offizieren des Lagers sich im Krankenhaus auch<br />

Hauptmann Nicolae Popescu Tudor befand, der zum Tode verurteilt worden war,<br />

weil er in jener denkwürdigen Sitzung in Oranki, als die „Tudor Vladimirescu“-<br />

Division zur Welt kam, Ana Pauker schonungslos angegriffen hatte. Es ist wohl<br />

verständlich, dass ich kaum das Ende der Quarantäne erwarten konnte, um ihn<br />

zu sehen. Diejenigen anderer Nationalität, die uns am Zaun ausforschten, taten<br />

dies sei es aus Neugier, um zu erfahren, was wir denn für Menschen waren und<br />

welche Neuigkeiten wir brachten, sei es aus Handelsinteressen, um für Rubel<br />

oder als Tausch ihr Elend gegen unseres einzuwechseln, denn seit Himmel und<br />

Erde existieren, haben Handel und Neugier stets ein gutes Paar abgegeben,<br />

waren doch die Händler im Laufe der Weltgeschichte immer auch die ersten<br />

Kolporteure von Nachrichten und Informationen.<br />

Da man uns mitten in der Quarantänezeit jene elenden 10 Rubel<br />

auszahlte, die den Monatssold darstellten, wurden wir für die Spekulanten des<br />

Lagers, insbesondere Polen und Koreaner, interessante Kunden, vor allem jene<br />

von uns, die in Kasan ihre Kleider gegen Wodka eingetauscht hatten und nun mit<br />

Bange sahen, dass die Verwaltung es nicht besonders eilig hatte, sie neu<br />

einzukleiden, um sie wie aus dem Ei gepellt zu repatriieren, so wie das Drehbuch<br />

ja lautete. Da Gott aber für alle Vögel in den Lüften sorgt, fand sich auch für uns

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