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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 525<br />

„Und du?”, fragte ich noch.<br />

„Bin auf der Kanalliste”, erwiderte er nachdenklich. „Dich, glaube ich, hat<br />

dein Freund aus der Studentenzeit, der Oberst, der dir die Hand gereicht hat,<br />

Tudor Sepeanu, gerettet, er war es! Und dies dazu im letzten Moment.”<br />

„Gut möglich. Mein lieber Quästor, Gott wollte mich nicht über meine<br />

Kräfte prüfen. Weißt du, ich rief Ihn aus Leibeskräften an, und Er wird wohl<br />

meine Stimme letztlich gehört haben. Er, der liebe Gott, Er wird seine Hand auf<br />

dem Papier geführt haben, um mich von einer Liste zu streichen und mich auf<br />

eine andere zu setzen. Freilich, lieber Mircea, ich freue mich, von hier weg zu<br />

kommen und meine Mutter wieder zu sehen. Aber was ist das denn für eine<br />

Freude, wenn ich euch, die ihr ein Teil meiner Seele seid, hier lassen muss,<br />

weiter hinter Stacheldraht und mit dem Spektrum des Kanals vor Augen?“<br />

„Lieber Radu, wenn du gehst, blick nach vorne! Schau nicht mehr zurück!<br />

Gott wird auch uns behüten. Misch dich nicht ein in Seine Angelegenheiten! Es<br />

ist eine schwere Prüfung, die uns bevorsteht, aber Er wird uns wohl auch daraus<br />

wieder ans rettende Ufer führen. Dessen sei gewiss! Und sei überzeugt davon,<br />

dass wir uns auf dieser Welt wieder sehen werden, und dies vielleicht schon eher<br />

als erwartet!“ (Er dachte wohl an den Augenblick, da der G<strong>ro</strong>ße Höllenfürst<br />

platzen würde.) Mit diesen Worten umarmten wir einander mit Tränen in den<br />

Augen, er ging an andere Betten, um seine Nachrichten an den Mann zu<br />

bringen, während ich mich auf eine Nacht ohne Schlaf vorbereitete, die letzte der<br />

Gefangenschaft.<br />

Irgendwie musste auch diese letzte Klausurnacht geehrt werden. Durch<br />

Gebete, durch Wachen, durch das Aufrufen aller Bilder, die zwischen den beiden<br />

Nächten an mir vorbeigezogen waren, Kopfenden eines Knechtschaftsfadens,<br />

zwischen jener ersten Nacht in Gefangenschaft in der verschneiten Donsteppe,<br />

die ich auf einem warmen Schafmisthaufen verbracht hatte, und der jetzigen, der<br />

letzten, hier, in der ich auf der heißen Pritsche von Bragadiru bei kleinem Feuer<br />

im eigenen Safte schmorte. In dieser warmen Julinacht passierten in meiner<br />

Schlaflosigkeit vor meinen Augen alle grausamen Momente unserer<br />

Zusammenstösse mit „ihnen“ Revue, manche davon waren dunkle Bilder tiefster<br />

Verzweiflung, jene der Niederlagen…, andere, jene des Sieges, waren von<br />

blendender Helligkeit. Auf meine Ellbogen gestützt betrachtete ich im fahlen Licht<br />

des Morgengrauens all jene, mit denen ich einen g<strong>ro</strong>ßen Teil dieser Prüfungen<br />

durchgemacht hatte, wie sie in tiefem Schlaf dalagen und von denen ich mich<br />

morgen trennen sollte. Und letztendlich schlief dann auch ich kurz vor der<br />

Weckung noch ein.

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