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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 516<br />

144. Bragadiru<br />

Am Morgen des nächsten Tages wurden sowohl wir, die zuletzt<br />

Angekommenen, als auch die anderen, die wir im Transitlager vorgefunden<br />

hatten, mit dem gleichen Zeremoniell (Wachsoldaten, Polizeihunde) in eine lange<br />

Viehwaggongarnitur verladen und auf ging’s gen Süden. Diesmal hatten wir auch<br />

einige Siebenbürger dabei, gar welche aus der Gegend, so dass wir nicht mehr<br />

mit dem Kopf im Sack reisten, sondern korrekt informiert waren über die<br />

Bahnstationen, die wir abfuhren (Beclean, Deda, Ciceu, Miercurea Ciuc usw.).<br />

Einer von ihnen, der sich ans kleine Fenster des Viehwaggons gestellt hatte,<br />

nannte uns sogar zwei kleine Ortschaften, dazwischen die Eisenbahnlinie ein<br />

Stück Grund überqueren sollte, das seinen Eltern gehörte.<br />

„Es könnte sein, das meine Leute jetzt gerade auf dem Feld sind, um die<br />

Maisstängel wegzubringen, vielleicht habe ich das Glück, sie zu sehen.“ Für<br />

diesen Fall hatte er eine Flasche mit einem kleinen Brief drin vorbereitet. Er hielt<br />

die Flasche aus dem Fenster und starrte in die Landschaft, darauf wartend, dass<br />

die heimatlichen Gefilde auftauchten, um die Flasche drauf zu werfen. Der<br />

gesamte Waggon erwartete wie in einem spannenden Film schweigend und mit<br />

klopfendem Herzen den bevorstehenden entscheidenden Augenblick, als unser<br />

Beobachter plötzlich einen Schrei ausstieß: „Da sind sie!“, und im nächsten<br />

Moment warf er ihnen auch die Flasche zu. „Ich weiß nicht, ob sie mich gesehen<br />

haben, aber die Flasche, die haben sie gesehen, wie sie auf sie zuflog.“ 192<br />

Danach überließ er, bewegt wie er war, seinen Sprecherplatz am Fenster<br />

einem anderen Ortskundigen, der uns weiterhin über die wichtigsten Punkte<br />

unserer Route auf dem Laufenden hielt. Es war klar, dass wir die Karpaten<br />

entlang Richtung Süden fuhren, anfangs mit Bukarest als wahrscheinlichem Ziel.<br />

Was danach mit uns geschehen würde, wer konnte dies wissen. Wir fuhren mit<br />

g<strong>ro</strong>ßer Geschwindigkeit und fast ohne Stopps. Wir waren eine wertvolle Ware.<br />

Als wir genauso rasch über Randgleise an K<strong>ro</strong>nstadt 193 vorbeifuhren, war es<br />

bereits zur Gänze Nacht geworden. Beim stumpfen Licht einer Gaslampe<br />

streckten wir uns mehr oder weniger angekleidet auf den Pritschen aus. Aber<br />

schlafen konnten wir nicht. Einer unserer Jungs, Cri[an, von dem auch bei<br />

unserem Transport von Marschansk nach Michailowo die Rede war, hatte wie<br />

damals infolge einer psychischen Blockade eine Harnverhaltung, konnte er doch<br />

in Gegenwart anderer nicht urinieren. Sein Gestöhn, so sehr er auch suchte, es<br />

zu unterdrücken, brach unsere Herzen, vor allem, da wir seinem Leiden hilflos<br />

gegenüberstanden. Die Versuche einiger Kameraden, ihm mit Decken und<br />

Mänteln einen Paravan herzustellen, hatten keine Wirkung. Die Lage wurde<br />

ernster, er fieberte. Doktor Popescu war verzweifelt. Es stellte sich die Frage, ob<br />

192 Viele Jahre später sollte der Arzt Mihai Popescu während seiner zweiten Haftzeit im „süßen“<br />

heimatlichen Gulag in einer Zelle dem Helden dieser Geschichte wieder begegnen, und dieser bestätigte<br />

ihm, das die Seinen ihn damals wohl gesehen hatten, ohne ihn aber zu erkennen. Aber sie nahmen die<br />

Flasche an sich und so erfuhren sie, dass ihr Sohn heimgekehrt war.<br />

193 Bra#ov.

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