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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 58<br />

Zwerghund, keine Gnade fanden. Plötzlich durchfuhr mich wie ein Blitz der<br />

Gedanke an meinen angeschossenen Infanteristen mit dem Kugelloch im Mund<br />

und an die Jungs, denen ich ihn anvertraut hatte. Mein Gott, wie weit<br />

weggekommen war ich von meinen Leuten, als ich dem tragischen Irrsinn des<br />

armen Br=ndu[ gefolgt war. Ich ging Richtung Kolonnenende, um ihn zu suchen.<br />

An mir schienen nicht Soldaten vorbei zu fließen, sondern schweigsame<br />

Gespensterscharen, mit eingefallenen Gesichtern, in Halbschlaf versunken,<br />

durch eine Welt wankend, in der die Grenzen zwischen Traum, Wirklichkeit und<br />

Halluzination völlig verwischt worden waren.<br />

(„Durch meine Nacht streiften in Scharen/ Schatten, gequälte/ Mit<br />

wundblauen Geisteraugen/ Schwerfällig wankend/ In ihren dumpfen Träumen“…<br />

sollte ich später in einem Gedicht schreiben, als ich mich dieser grauenhaften<br />

Momente erinnerte.)<br />

Meine Jungs sah ich immer noch nicht. Hie und da blieb ein Unglücklicher,<br />

der an die Grenze seiner Widerstandskraft gelangt war, am Rande der Kolonne<br />

stehen, ließ sich auf die Knie und glitt leicht in den Schnee, wo ihn alsbald eine<br />

wohlige Wärme, ein Licht und eine Glücksgefühl umgeben sollten – wie in den<br />

Armen der Mutter, unser aller lieben Mutter, Frau Tod.<br />

Als ich mich so nach hinten zurückfallen ließ, stieß ich auf eine Gruppe<br />

von Schakalmenschen, die einem Toten Kleider und Schuhwerk auszogen. Ich<br />

hatte den unglücklichen Einfall, mich zu bücken, um zu sehen, wer denn der Tote<br />

war. O Gott, der seiner letzten irdischen Güter entkleidete war mein Journalist,<br />

dem der Schrecken und das Grauen vor dem NKVD die Sinne verdunkelt und ihn<br />

eine Beute des Todes hatten werden lassen. Dann folgte ein weiterer Schock:<br />

Zwei Häufchen, auf den Knien, ineinander gedrängt und mit geschlossenen<br />

Augen, glitten ihrerseits zum letzten Ufer hin. Ich näherte mich ihnen und wollte<br />

meinen Augen nicht trauen: Es waren die armen beiden Sportler, die ich doch<br />

um ihre physische Kondition beneidet hatte, die sie als Favoriten in diesem<br />

Todesmarathon empfahl.<br />

Als ich bereits drauf und dran war, in Panik zu geraten, weil ich meine<br />

Jungs nicht mehr fand, stieß ich endlich am Ende der Kolonne auf sie, nur knapp<br />

20 Meter entfernt von der unheimlichen Kette der Schlussmänner, hinter denen<br />

kein menschliches Wesen lebend zurückbleiben durfte. Meine Gruppe bestand<br />

noch aus etwa neun, zehn Männern, in ihrer Mitte – der Infanterist mit dem<br />

Kugelloch im Hals, den sie abwechselnd zu zweit fast hinter sich herschleiften,<br />

denn er konnte kaum noch gehen. Als er mich sah, ging ein Ruck durch ihn,<br />

denn er fing an alleine zu gehen, streckte seine Hände nach mir aus und<br />

gurgelte etwas, womit er wohl meinen wollte: „Rettet mich!“ Dann stürzte er in die<br />

Arme seiner Begleiter. Aber genau in jenem Augenblick knallten hinter uns zwei<br />

Schüsse. Zwei Soldaten, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten und<br />

vom Menschenst<strong>ro</strong>m an den Rand und von da in den Rücken der Kolonne<br />

gedrängt worden waren, hatten nun all ihre Rechnungen beglichen. Sie lagen<br />

einer neben dem anderen, und aus der Stirn sickerte Blut, das der rötliche,<br />

krummbeinige Hund wegleckte. Das menschliche Ungetüm, in seinen wattierten<br />

Mantel gehüllt, der genau so riesig war wie er selbst, hielt in der einen Hand das<br />

rauchende Gewehr, mit der anderen machte er uns ein Zeichen, den<br />

Verwundeten zu ihm zu bringen. Da wir aber keine Anzeichen machten, dieser

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