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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 309<br />

darstellt – wie es dir beliebt zu glauben – oder eines von Emporkömmlingen. Der<br />

Adlige bleibt Adliger, bleibt auch in Situationen größter Verzweiflung seiner<br />

Nation und deren Gesetzen treu. Der Parvenü mogelt sich durch, je nach<br />

Kontext. Wähle! Bojar… oder Parvenü?“<br />

Tatsächlich hielt mein Kollege und Freund, ein Mann von Qualität, frei von<br />

Dünkel oder Snobismus, viel, wenn auch diskret, auf seine adlige Herkunft.<br />

Meine Ausführungen hatten auf eine empfindliche Stelle abgezielt. Er machte<br />

g<strong>ro</strong>ße Augen und zog sich schweigend zurück. Nach dem Abendappell jedoch<br />

hielt er mir ein liniertes Blatt Papier unter die Nase: sein Rücktritt aus der<br />

antifaschistischen Bewegung. Dann ging er entschlossenen Schrittes mit<br />

flatterndem Papier zum Kommissariat. Na also, ich hatte ins Schwarze get<strong>ro</strong>ffen.<br />

Selbstverständlich aber wäre es mir sehr peinlich gewesen, hätte er infolge<br />

meines Ratschlags diesen Repatriierungszug verpasst. Daher auch meine<br />

Erleichterung, als ich ihn unter den Heimkehrern sah. Ich sprach lange mit ihm<br />

an jenem Abend, an dem unsere Wege, die sich kaum wieder get<strong>ro</strong>ffen hatten,<br />

sich erneut trennen sollten. Ich bat ihn, meine Mutter zu besuchen und ihr all das<br />

zu erzählen, was ich ihr nicht hatte schreiben können. Dazu bat ich ihn noch,<br />

meine Frau zu suchen und ihr, angesichts meiner Gefangenschaft, aus der ich<br />

nicht wusste wann und nicht einmal ob ich denn je heimkommen würde, zu<br />

sagen, dass ich, um ihr Leben nicht weiter mit der Unsicherheit meiner Existenz<br />

zu belasten, es ihr freistellte, ihr Schicksal von meinem zu lösen und ein neues<br />

Leben zu beginnen. Dann umarmten wir einander und trennten uns an dieser<br />

Wegkreuzung schweren Herzens, denn keiner von uns beiden wusste, welches<br />

denn der bessere Weg war.<br />

Allem Anschein nach musste der seinige dies sein. Schließlich führte er<br />

heim, während der meinige ins Unbekannte und Unsichere führte. Dem war aber<br />

nicht so. Bei einer Hausdurchsuchung durch die Securitate fand man bei seiner<br />

Mutter (ehemalige Ehrendame der Königin Maria) eine Menge Fotos des<br />

Königshauses. Um seine Mutter zu retten, nahm er das „Corpus Delicti“ auf sich<br />

– was ihm viele und schwere Jahre Gefängnis bescherte, woher er mit<br />

verschlimmertem Krankheitszustand entlassen wurde. Ich traf ihn zu Hause.<br />

Seine Moral war ausgezeichnet, aber physisch hatte ihn der schwere<br />

Schicksalsschlag tief geprägt. Nach unserem Wiedersehen lebte er nicht mehr<br />

lange. Und ich – fast hatte ich ihn beneidet, als wir uns in Oranki trennten.<br />

Verborgen sind doch Gottes Wege, und keiner weiß den Weg, an dessen Ende<br />

das Schicksal auf einen wartet.<br />

Das Leben im „Wartesaal“, wie wir diese Baracke nannten, in der wir Tag<br />

um Tag, mit dem Kopf auf dem Gepäck, darauf warteten, dass man uns unseren<br />

Abtransport verkündete, verstrich in Ruhe und Harmonie. Wenn ich mich umsah,<br />

meine Weggefährten betrachtete, stellte ich fest, dass ich mich in der ganzen<br />

Gefangenschaft nie in einer solch wertvollen Gesellschaft befunden hatte, als es<br />

jene war. Ausgenommen die etwas verrufenen oder konfusen Vögel, von denen<br />

ich mehr oben sprach, stellten wir, die Streikleute, die Radikalen, unter den<br />

insgesamt 80 Offizieren eine kompakte und homogene Gruppe von mindestens<br />

40 Menschen dar, allesamt erfahren und geprüft durch Stellungnahmen,<br />

P<strong>ro</strong>testaktionen, Arbeits- und Hungerstreiks, durch Karzer und Isolation.<br />

Standhafte Menschen, deren Wort Wort war und unter denen ich mich völlig

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