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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 453<br />

127. Im hafennahen Lager<br />

Selbstverständlich wussten wir, dass unsere „Villegiatur“ hier, im „Drei-<br />

Sterne-Hotel“, ein Luxus war, der nicht lange andauern konnte. Deswegen<br />

überraschte es uns keineswegs, als wir eines Morgens in LKWs verfrachtet und<br />

Richtung Hafen gefahren wurden. Das Lager, in das man uns brachte, war eine<br />

ehemalige Marinekaserne, die auf der Spitze einer abrupten felsigen Anhöhe<br />

errichtet worden war. Das Gebäude war rechteckig, mit einem Obergeschoß und<br />

einer Fassade zur Straße hin. Um einen Innenhof zu erhalten, hatte man (zur<br />

Zeit des Zaren) eine riesige Menge Erde von der Spitze abgegraben und an<br />

seinem Ende, um einen Erdrutsch zu verhindern, eine massive Steinmauer<br />

errichtet. Aus dem auf der Höhe des Erdgeschosses liegenden Innenhof konnte<br />

man in den auf der Anhöhe, auf der Höhe des Obergeschosses liegenden Hof<br />

nur über eine Hängebrücke gelangen. Diese besaß einen Brückenkopf, der im<br />

Obergeschoß (neben der Tür unseres Schlafsaales) eingefasst war, sowie einen,<br />

der auf dem Kamm der Steinmauer errichtet worden war. Zwischen diesem und<br />

dem Pflaster des Hofes unten tat sich ein fünf Meter tiefer Abgrund auf.<br />

Interessant und pittoresk war sie, diese Brücke der Seufzer. Über sie<br />

eilten wir hin zu jener felsigen Anhöhe, auf der man bis an Stellen steigen<br />

konnte, von wo sich einem dann plötzlich, g<strong>ro</strong>ßzügig und in all seiner<br />

Herrlichkeit, das Meer zeigte.<br />

Eine besondere Stelle war jene, an der ein vergessenes Denkmal aus der<br />

Zarenzeit, ein kleiner Obelisk mit verwischten Buchstaben, stand, und von wo<br />

aus man von Osten bis zum Westen hin das Meer in all seiner Weite vor sich<br />

hatte. Den Hafen konnte man nicht sehen, da er von Gebäuden verdeckt wurde.<br />

Aber die davor ankernden Schiffe sowie die gigantischen Arme der Kräne, die<br />

ununterb<strong>ro</strong>chen Waren entluden und verluden konnte man sehr wohl sehen,<br />

genau so wie auch jenes Wunder von verwirrenden, sich unaufhörlich<br />

verändernden Nuancen und Lichtreflexen des Meeres, gerade so als wollten sie<br />

jedem Seelenzustand einzeln entsprechen. Bis zu uns drang das Brausen der<br />

wütenden Brandung, aber auch das seidige Rauschen der ruhigen Wellen, und<br />

die salzige Brise füllte unsere Nüstern. Über allem aber stand die immense<br />

Nostalgie, mit der das Meer unsere Seelen erdrückte – ein Schmerz, den wir uns<br />

nicht nehmen ließen, denn bei jedem Sonnenuntergang kamen wir hierher, um<br />

schweigend und traurig hin zu jenem Teil des <strong>ro</strong>t unterstrichenen Horizonts zu<br />

blicken, dahinter, „weh, so nah und unerreichbar doch!“, die Heimat lag.<br />

Dein Vaterland einen Steinwurf weit zu wissen und im Filigran des<br />

Meereshorizonts seine Ikone zu erblicken, aber unentwegt durch den<br />

Stacheldraht der Gefangenschaft von ihm getrennt zu bleiben – das war eine<br />

Qual, die jener des Tantalos glich, die wir jedoch Abend für Abend wie eine<br />

D<strong>ro</strong>ge zu uns nahmen.<br />

*<br />

Als wir in dies Kasernenlager kamen, fanden wir hier eine g<strong>ro</strong>ße Gruppe<br />

von rumänischen Soldaten sowie auch eine Handvoll Offiziere vor. Unter diesen

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