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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 128<br />

Schwarzmarktbörse des Lagers den höchsten Wert – die tägliche B<strong>ro</strong>tration und<br />

die Monatsration Tabak, diese Güter wurden entweder gegen andere Waren<br />

oder gegen Rubel gehandelt. Das Tragische dieser Angelegenheit zeigte sich<br />

dann, wenn den leidenschaftlichen Rauchern ihre Zigarettenration ausging und<br />

sie anfingen, Tag für Tag diesem Laster zuliebe B<strong>ro</strong>t für Tabak zu tauschen und<br />

auf diese Weise erbarmungslos bis auf jene Stufe physiologischer Degradierung<br />

hinab stiegen, von der keine Rettung mehr möglich ist. Dies war auch der Fall<br />

Hauptmann Tabacus, ein Infanterieoffizier: Ich hatte ihn am Don während einer<br />

Aktion kennen gelernt, die uns fast das Leben gekostet hatte. Damals bemerkte<br />

ich, was für eine Leidenschaft ihn beherrschte. Er zündete sich zwei Zigaretten<br />

zugleich an. Der arme Mann hat Tag für Tag seine B<strong>ro</strong>tration für Glimmstängel<br />

hergegeben und starb schließlich. Dies ist ein konkretes Beispiel. Aber wie viele<br />

Anonyme gab es denn nicht, die vor Hunger starben, um den Rauch von ein paar<br />

Kippen einzuatmen. Die Nachricht vom Tode Tabacus, die uns aus dem<br />

Krankenhaus zukam, löste eine Kampagne gegen die Schakale und Raben (zu<br />

solchen Namen war es gekommen) aus, welche mit dem Köder ihres Tabaks<br />

den unverbesserlichen Süchtigen mit dem B<strong>ro</strong>t auch den letzten T<strong>ro</strong>pfen Leben<br />

vom Munde wegnahmen. Freilich ist es schwer, eine klare Schuldzuweisung<br />

vorzunehmen für die monströse Situation, die sich für uns durch den Sold und<br />

die Zigarettenration ergeben hatte. Wie schuldig waren denn die Schakale und<br />

Raben, selber auch Opfer des Hungers, der den Verstand erschüttert und auch<br />

die elementarsten Menschlichkeitswerte verfinstert? Wie schuldig waren denn<br />

die Opfer selber, die auch nicht den geringsten Widerstand gegen dieses<br />

verwüstende Laster geleistet hatten und jedem Willensakt entsagten? Vor allem<br />

aber, wie schuldig war denn die Macht, welche uns ihrer politischen Interessen<br />

wegen dem teuflischen Entmenschlichungsp<strong>ro</strong>zess des Hungerns unterwarf?<br />

Was konnte man nun aber tun, um diesen Tauschhandel zu stoppen? Die gegen<br />

die Schakale und Raben gestartete Kampagne konnte diese eine Zeitlang<br />

einschüchtern, löste aber nicht das P<strong>ro</strong>blem, solange die Opfer bereit waren,<br />

weiterhin Blut (denn das war, im Grunde genommen, das B<strong>ro</strong>t für sie) zu<br />

verkaufen, um ihrem Laster frönen zu können. Damals beschlossen wir<br />

Nichtraucher, den Süchtigen (es waren nicht mehr als drei, vier im ganzen<br />

Schlafsaal) zu helfen und ihnen täglich ein paar Zigaretten zukommen zu lassen,<br />

mit der Auflage, dass jeder von ihnen sein B<strong>ro</strong>t verzehrt.<br />

Ähnliche Initiativen gab es auch in anderen Schlafsälen. Sie verringerten<br />

die Dimensionen dieser Plage, aber der unheimliche Tauschhandel konnte erst<br />

sehr spät verschwinden, nachdem in unserem Bewusstsein, der Gefangenen<br />

also, gewisse moralische Mutationen stattgefunden hatten, die einen g<strong>ro</strong>ßen Teil<br />

von uns darauf verzichten ließen. Aber darüber werde ich später zurückkommen.

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